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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Begehren nach Urban in jungen Jahren. Deshalb wollte sie ihn leibhaftig vor sich haben, ihn überall berühren und leidenschaftlich küssen, ganz wie es ihr behagte. Gleich in der nächsten Nacht würde sie Urban das deutlich machen.
    Entschlossen wandte sie sich um, trat zur Tür. Die Hand bereits auf der Klinke, hielt sie abermals inne. Wieder schwollen die aufgebrachten Männerstimmen in der Stube gegenüber an. Etwas knallte laut, dann kehrte von neuem Stille ein. Nie zuvor hatte sich Urban derart mit einem Gast aufgeführt.
    Auf einmal war ihr, als blickten ihr die grünbraunen Augen des Fremden aus dem Traum einladend entgegen. Die hohe Stirn leicht gerunzelt, die Kerbe am Kinn scharf gezeichnet, wirkte sein Gesicht sehr interessant. Dunkles, kurzgeschnittenes Haar umrahmte den breiten, kantigen Kopf. Seine Figur war stattlich, prächtig, aber nicht zu auffällig in dunkle, teure Stoffe gekleidet. Weit breitete er die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet, als wollte er sie abermals ermuntern, sich ihm entgegenzuwerfen, um dem seltsamen Streit in der Wohnstube zu entfliehen. Etwas aber hielt sie zurück. Eiskalt lief es ihr plötzlich den Rücken hinab – Urbans Augen waren blau!
    Erschüttert schlug sie die Hand vor den Mund. Sie musste einer Täuschung aufgesessen sein. Was kümmerte sie sich überhaupt um die Augenfarbe eines Traumgespinstes? Abkühlung für ihr erhitztes Gemüt suchend, presste sie die Stirn gegen die weißgetünchte Kalkwand neben dem Türpfosten.
    Ein dumpfes Glucksen entstieg ihrem Innersten, brach sich in einem albernen Lachen Bahn. Natürlich war sie selbst schuld an der Verwirrung. Warum glaubte sie immer noch an diesen törichten Zauber? In wenigen Schritten stand sie neben dem breiten Ehebett und hob das Kissen hoch. Genau so, wie sie sie vor dem Einschlafen hingelegt hatte, lag die Schafgarbe noch da. Behutsam nahm sie sie mit beiden Händen auf und presste sie gegen das Gesicht. Das war die Pflanze für alle am Theobaldtag Geborenen, so wie sie. Als die getrocknete Dolde ihre Wange berührte, stieg ihr die Erinnerung an den krautigen, leicht bitteren, aber dennoch sehr angenehmen Geruch in die Nase, den die unzähligen kleinen Blüten im Sommer verströmten. Den ganzen Winter über hatte der Stengel zwischen den Seiten des Werkmeisterbuches ihres Ahns gelegen, dabei nicht nur an Geruch, sondern auch an Farbe eingebüßt. Von dem frischen Grün des Sommers war nur ein schaler Abglanz übrig. Die Nacht unter dem Kopfkissen hatte den Stiel, die gefiederten Blätter und die weißen Dolden endgültig zerdrückt.
    Renata, die Magd im Haus ihres Vaters, die ihr die viel zu früh verstorbene Mutter ersetzte, hatte ihr vor vielen Jahren eine getrocknete Dolde geschenkt und ihr von dem Brauch erzählt, mittels Schafgarbe die wahre Liebe zu finden. Wer einen Stengel davon vom Grab eines Jünglings pflücke und sich unter das Kopfkissen lege, träume des Nachts von seinem Liebsten. Lange Zeit hatte Dora nicht gewagt, die Probe zu machen. Letzte Nacht aber hatte sie es trotz zweier überraschend glücklicher Jahre an Urbans Seite wissen wollen, ob sie mit dem richtigen Mann verheiratet war. Vor Scham über die eigene Unvernunft röteten sich ihre Wangen abermals.
    Was aber war schon dabei? Sie hatte einfach wissen wollen, ob es wirklich Liebe war, die sie an den ehrwürdigen Kammerrat band, oder ob es sich nur um die Macht der Gewohnheit handelte, die sie gelehrt hatte, den Mann, der vom Alter her ihr Vater sein konnte, als den Richtigen zu empfinden. Womöglich wartete draußen in der Welt noch ein anderer, ihr vom Alter weitaus näher stehender Mann auf sie. Vergangene Nacht, als Urban mit seinen kundigen Berührungen wieder einmal erst die größte Leidenschaft in ihr entfacht, kurz vor dem Ziel aber zu ihrer Enttäuschung mit einem tiefen Seufzen von ihr abgelassen und sie mit ihrer ungestillten Lust allein gelassen hatte, war der alte Zweifel in ihr wieder hochgekocht. Nie kamen Urban und sie einander nah genug, um ganz in ihrer Liebe zu versinken. Was oder vielmehr wer stand zwischen ihnen? Um das herauszufinden, war sie heimlich aus dem Bett geschlüpft, nach oben in die Werkstatt geschlichen, um die getrocknete Schafgarbe aus dem Buch zu nehmen und sie kurz darauf unter ihr Kissen zu legen. Zur Verstärkung hatte sie eindringlich noch die Verse »Gute Nacht, schöne Schafgarbe,/Dreimal Gut’ Nacht für dich,/Ich hoffe, noch vor dem Morgengraun/Werd ich meinen Liebsten

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