Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Euch jedoch nicht weiter kümmern, mein Augenstern. Ich war vorhin bereits in der Rentkammer. Am Nachmittag werde ich zum Oberteich reiten, um die Bauarbeiten an der Mühle zu besichtigen. Seit Schnee und Eis getaut sind, geht es mit der neuen Scheune in großen Schritten voran. Das prächtige Wetter am heutigen Märtyrertag verheißt auch für die nächsten Wochen nichts anderes. Höchste Zeit, den fleißigen Zimmerern einmal wieder auf die Finger zu schauen, damit sie auch das Richtige tun. Und Ihr, mein Augenstern? Habt Ihr wohl geruht? Selige Träume müssen Euch erfreut haben, wie mir Euer schönes Antlitz verriet. Deshalb wollte ich Euren Schlaf nicht stören und habe mich im Morgengrauen leise davongestohlen.«
»Zu gütig von Euch.« Dora spürte von neuem Röte in ihr Gesicht schießen.
»Ist Euch nicht wohl?« Behutsam legte Urban ihr seine große, erstaunlich fleischige Hand an die Wange, neigte sich nah zu ihr vor. Eine Strähne seines dichten, sorgfältig auf Kinnlänge gestutzten Haarschopfs streifte ihr Kinn. Der zarte Veilchenduft seiner Seife wehte ihr entgegen.
»Nein, nein, es ist nur die Ofenhitze, die mir zu Kopf steigt. Elßlin hat wohl zu kräftig eingeheizt.«
Wie zur Bestätigung knisterte das Feuerholz im mannshohen Kachelofen. Die Luft in der Stube war staubtrocken.
»Nehmt Platz, mein Augenstern, und trinkt einen Schluck Bier. Das wird Euch guttun.«
Er führte sie zu einem Stuhl, der über Eck zu seinem eigenen am Kopfende der Tafel stand, und blieb neben ihr stehen. Seine Fürsorglichkeit war rührend, nährte zugleich jedoch ihr schlechtes Gewissen. Um Urban nicht ansehen zu müssen, betrachtete sie prüfend den Tisch. Wie üblich war die Tafel für drei gedeckt. Mathilda, Urbans Base dritten Grades, pflegte die Mahlzeiten mit ihnen gemeinsam einzunehmen. Dora verkniff sich, nach ihrem Verbleib zu fragen. Ihre Anwesenheit hätte sie nur weiter verwirrt. Gewiss sah Mathilda ihr das schlechte Gewissen bereits an der Nasenspitze an.
Zwischen Bechern und Tellern stand eine dampfende Schüssel mit Suppe bereit, daneben fanden sich weitere zum Teil schon auf-, zum Teil noch zugedeckte Schüsseln mit Lachs und Neunauge, Salzfisch und Gemüse sowie Platten mit reichlich Brot und Käse. Zu Hause befolgte Urban die gleiche Essensfolge wie auf dem Schloss. Montags, mittwochs und freitags waren das vor allem Fischgerichte. Lediglich auf den Wein verzichtete er, wenn er nicht mit seinesgleichen in der Rentkammer speiste. In seinem eigenen Heim bevorzugte er das Bier aus dem Haus seines Schwähers, dessen Brauen nach wie vor Dora zu beaufsichtigen hatte.
»Oh, Ihr seid endlich wach?« Nahezu geräuschlos tauchte Mathilda neben ihr auf und stellte eine Schüssel mit eingelegten Heringen auf den Tisch. Geschäftig rückte sie an der Platte mit Brot, schob den Käse beiseite und zupfte am Tischtuch. Dann erst sah sie Dora mit einem süßlichen Lächeln auf dem ebenmäßigen Gesicht an. »Ich habe mir schon große Sorgen gemacht, ob Ihr unpässlich seid, meine Liebe. Bei einer jungen Frau wie Euch sollte man stets damit rechnen.«
Während ihrer letzten Worte drehte sie sich halb zu Urban um. Der Vetter schenkte ihrer Bemerkung keinerlei Beachtung, was Mathilda wiederum einen leisen Seufzer entlockte. Dora ahnte, was hinter der hohen Stirn der Base vorging, und behielt sie genau im Blick.
Wie stets war Mathilda trotz ihrer Tätigkeit in der Küche aufs sorgfältigste gekleidet. Jede Falte an dem dunkelblauen Goller und dem ebenfalls dunkelblauen Rock saß, wie sie sollte. Die weiße Schürze legte sich fleckenlos darüber. Das sanfte Klirren ihres eigenen Schlüsselbundes an Mathildas Gürtel machte Dora stutzig. Mathilda musste ihr Erstaunen sofort gespürt haben und löste den Schlüsselbund sogleich, um ihn ihr zu reichen. »Fast hätte ich vergessen, Euch die Schlüssel zurückzugeben. Es schien mir ratsam, sie an mich zu nehmen, um Eurem Gemahl pünktlich das Essen zu richten. Ihr schlieft so fest und friedlich, dass ich gar nicht erst wagte, Euch zu stören. Das Kochen sollte mir schließlich auch ohne Euch gelingen. Die Schlüssel lagen übrigens auf der Truhe unten in der Diele.«
Dora meinte ein triumphierendes Flackern in Mathildas grünen Augen zu erspähen. Ehe sie sich dessen vergewissern konnte, war es bereits wieder erloschen. Dennoch verweilte ihr Blick auf dem glatten Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der schlanken, langen Nase. Die mittlerweile zweiunddreißig
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