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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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schau’n« leise aufgesagt.
    Wieder hob sie den zerdrückten Pflanzenstengel an die Nase, schnupperte daran. Entschlossen trat sie zum Fenster, öffnete es und schleuderte die Schafgarbenreste schwungvoll hinaus. Das Rotschwanzpärchen begleitete ihr Tun mit einem freudigen Gesang. Verschämt schneuzte sie sich die Nase in die langen Enden ihrer Ärmel, strich sich das Haar unter die Haube und zupfte den Umhang zurecht. Hocherhobenen Hauptes verließ sie das Schlafgemach und ging in die gegenüberliegende Wohnstube, um ihren Pflichten als Frau des Hauses nachzukommen und den fremden Gast bei ihrem Gemahl willkommen zu heißen.
    2
    S obald Dora die Tür öffnete, verstummten Urban und sein hochgewachsener, in fahles veilchenblaues Tuch gekleideter Besuch auf einen Schlag. Wie von Sinnen starrte sie der Unbekannte für einen kurzen Moment an, dabei spiegelten seine Augen blankes Entsetzen wider. Schnell aber gewann er seine Fassung zurück und nickte ihr grüßend zu. Ehe sie ihn standesgemäß willkommen heißen konnte, setzte er das Barett auf das kinnlange kupferbraune Haar und stürmte hinaus. Erstaunt sah Dora ihm nach. Gerade als sie sich bei Urban erkundigen wollte, wer der unfreundliche, ihr gegenüber auffallend wortkarge Besucher gewesen war, kam ihr Gemahl mit einem betont freudigen Lächeln um die leicht nach unten gezogenen Mundwinkel auf sie zu. »Gott zum Gruße, mein Augenstern.« Die Arme weit ausgestreckt, machte er Anstalten, sie herzlich zu umarmen.
    Dora stutzte. Für einen Augenblick verwischten sich Traum und Wirklichkeit, schob sich die nächtliche Traumgestalt an Urbans Stelle. Je näher er ihr jedoch kam, je mehr verblasste die Erinnerung. Die Gesichtszüge wurden hagerer, die Bewegungen überlegter. Kein Zweifel, vor ihr stand ein fast fünfzigjähriger weißhaariger Mann und nicht der Mittzwanziger von letzter Nacht. Ihr seit zwei Jahren angetrauter Gemahl Urban Stöckel, einstmals stolzer Herr des Deutschen Ordens, seit bald zwanzig Jahren herzoglicher Kammerrat, betonte mit jeder einzelnen Regung seine strenge Selbstbeherrschung. Schwerer denn je fiel es Dora, sich auszumalen, dass er als Fünfundzwanzigjähriger jemals leidenschaftlich aufgetreten wäre.
    »Wer war dieser Mann, und was wollte er von Euch? Es hörte sich an, als hättet Ihr heftig miteinander gestritten«, erkundigte sie sich. Der Besucher interessierte sie zwar eigentlich kaum, bot aber eine gute Möglichkeit, ihre Verwirrung zu überspielen. Unauffällig glitt ihr Blick über Urbans Gestalt. Viel eher interessierte sie nach wie vor, ob das Traumgespinst von letzter Nacht nicht vielleicht doch die fast drei Jahrzehnte jüngere Version ihres Gemahls darstellen konnte. Dagegen sprach allerdings schon die Größe. Urban überragte sie um kaum eine Handbreit, um dem Mann im Traum in die Augen sehen zu können, hatte sie den Kopf heben müssen. Zu früh gebeugt hatte Urban das Leben jedoch keinesfalls. Trotz seines Alters und der ermüdenden Schreibstubentätigkeit im Schloss besaß er noch immer eine tadellos aufrechte Haltung. Genauso wenig hatten die Jahre seiner stattlichen Statur geschadet. Auf dem kantigen Gesicht zeigten sich erst wenige Falten, die lange Nase teilte es in zwei gleiche Hälften. Die Lippen waren gerade, das Kinn leicht spitz geformt, was den Hals umso länger erscheinen ließ. Dora meinte sich an eine Kerbe am Kinn des Traumgespinstes zu erinnern, ebenso schien ihr dessen Gesicht eckiger, die Nase kürzer, dafür breiter und die Stirn höher gewesen zu sein. Das aber waren nur flüchtige Eindrücke. Die offenkundige Übereinstimmung in Kleidung und Gebaren der beiden Männer machte sie rasch mehr als wett. Wie üblich steckte Urbans schlanker Leib in einem Faltrock aus dunklem, glänzendem Atlas, der an den Rändern mit helleren Streifen sowie an Revers und Kragen mit Stickereien aus Goldfäden abgesetzt war. Die Kniehose war vom gleichen Stoff, in den Falten und am Bund zusätzlich mit schwarzem Samt verziert. Goldknöpfe setzten glänzende Akzente, ebenso die breiten Kuhmaulschuhe an den großen Füßen. Jeden Abend hatte die Magd das in breiten Längsstreifen gearbeitete Leder auf Hochglanz zu polieren.
    Urbans blassblaue Augen huschten einen Moment unruhig umher, sein Lächeln wirkte gequält. Dann aber rang er sich zu einem Schmunzeln durch. »Das war der neue Hausvogt bei Hofe. Gewiss wird er sich Euch bei Gelegenheit noch gebührend vorstellen, bislang aber fehlt ihm dazu die Zeit. Das sollte

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