Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Lebensjahre waren Mathilda kaum anzumerken. Exakt bis zum Haaransatz bedeckte die weiße Bundhaube ihr wohlgeformtes Haupt. Die bogenförmig gezupften Augenbrauen verrieten ein wenig von dem Blond, das der Haarschopf darunter besitzen musste. Den Rücken kerzengerade aufgerichtet, machte die Base Anstalten, sich auf ihren angestammten Platz an Urbans rechter Seite, Dora gegenüber, hinzusetzen.
»Habt Dank für Euer umsichtiges Verhalten«, brach Urban das Schweigen. »Wie immer wissen wir Eure Mühe um unser Wohl sehr zu schätzen. Darf ich Euch bitten, mir für den Nachmittag Schaube und Barett zu richten? Gleich nachher breche ich zu einem Ritt an die Mühlen hinter dem Schlossteich auf.«
»Wie Ihr wünscht«, erwiderte Mathilda und erhob sich wieder von ihrem Stuhl. Am leichten Kräuseln der Stirn erkannte Dora, wie sehr ihr Urbans Bitte missfiel. Wohlweislich verzichtete sie jedoch darauf, sich das anmerken zu lassen, und verließ die Stube.
»Wann seid Ihr heute Abend zurück?«, fragte Dora, sobald sich die Tür wieder geschlossen hatte.
»Ich hoffe, nicht zu spät, damit wir beide noch etwas vom Abend haben.« Urban zwinkerte ihr zu, füllte ihr eigenhändig den Becher mit Bier und reichte ihn ihr. »Ihr seht verwirrt aus, mein Augenstern. Hängt das mit Eurem Traum zusammen? Erzählt mir davon. Vielleicht verschafft Euch das Erleichterung.« Langsam ging er zu seinem Stuhl, schob ihn umständlich zurecht, bevor er sich niederließ und nach ihrer linken Hand griff. Sanft, aber bestimmt drückte er sie. Sie schürzte die Lippen. »Verzeiht, wie töricht von mir. Es geziemt sich nicht, jemanden nach seinen Träumen zu fragen. Ein Gemahl sollte sich hüten, in die Geheimnisse seiner Gattin einzudringen. Was wäre die Liebe ohne ihre kleinen Geheimnisse, insbesondere bei einer so zauberhaften jungen Gemahlin wie Euch?«
Mit einem wissenden Schmunzeln um die Lippen zog er seine Hand zurück. Dora nutzte die Gelegenheit, nach dem Brot zu greifen und sich ein Stück davon abzubrechen.
»Gewiss geht Ihr gleich nach oben in Eure Werkstatt und setzt Eure Arbeit an dem neuen Aufriss fort.« Urban verfiel in belanglosen Plauderton, brach sich ebenfalls ein Stück Brot, schnitt ein Stück von dem würzigen Käse ab und schob sich beides abwechselnd in den Mund. Genüsslich kauend fuhr er fort: »Um die Mittagsstunde habt Ihr an Eurem Tisch bestes Licht.«
»Das hat noch Zeit«, erwiderte Dora und aß ebenfalls von dem Brot.
»Aber nein!« Urban legte Brot und Käse beiseite. »Arbeitet unbedingt an den Zeichnungen weiter. Euer Entwurf für unser neues Haus muss rasch fertig werden. Deshalb habe ich Euch doch die Werkstatt eingerichtet. Wenn der Herzog Wort hält und mir das Grundstück in der Junkergasse noch dieses Frühjahr zuteilt, beginnen wir sofort mit dem Bau. In wenigen Monaten schon werden wir das Anwesen beziehen. Das wird ein prächtiges Haus! Jeder wird ihm ansehen, welche Stellung ich bei Hofe bekleide. Ach, wie freue ich mich darauf.«
Mit jedem Wort war seine Stimme lauter geworden. Sein sonst so ernstes Gesicht bekam einen schwärmerischen Ausdruck, die blassblauen Augen leuchteten. Kaum hielt es ihn ruhig auf seinem Stuhl. Dora stutzte. Zu welchen Gefühlswallungen er fähig war, wenn er einmal seine Besonnenheit vergaß! Seltsam nur, dass es anlässlich des Bauvorhabens in der Junkergasse geschah und nicht bei ihrem Anblick zu später Stunde im ehelichen Schlafgemach. Dabei wartete er seit Jahren auf die Zuteilung des Grundstücks, während er das nächtliche Zusammensein mit ihr erst seit zwei Jahren genoss.
»Noch ist nichts begonnen, geschweige denn überhaupt entschieden«, versuchte sie seinem Übermut Einhalt zu gebieten.
»Warum so verhalten, mein Augenstern? Das klingt fast, als ängstigte Euch auf einmal die Vorstellung, Euren Entwurf in die Tat umgesetzt zu sehen. Seid nicht so bescheiden. Er ist großartig! Niemand in allen drei Städten Königsbergs wird ein vergleichbares Haus besitzen. Es beweist meinen hohen Rang bei Hofe und meine herausragende Stellung in der Stadt. Zugleich aber stößt es nicht durch übertriebenen Schmuck ab. Allein, wie es Euch gelungen ist, die Fassade durch einfache, aber eindrucksvolle Fensterreihen zu gestalten, ist beachtlich. Ganz zu schweigen von dem prächtigen Wimperg über dem Eingang. Auch die Anlage eines Erkers als Erweiterung des Saales im ersten Geschoss ist ein trefflicher Einfall, ebenso der wundervolle Stufengiebel mit den Steinfiguren.
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