Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
vor, in dieser Höhe und Dünne würde ihm der Stein beim Schneiden brechen«, stammelte sie und fühlte sich wie ein törichtes Kind, das beim Schummeln erwischt wurde. Die Hitze auf ihrem Gesicht musste sie verraten. Gewiss hatte Veit das längst bemerkt und schloss daraus, wie unfähig sie als Baumeisterin war. Weder war sie in der Lage, einen Entwurf zu liefern, der das Verhältnis der einzelnen Teilelemente zueinander richtig darstellte, noch brachte sie es fertig, den ausführenden Steinmetz davon zu überzeugen, im Vertrauen auf ihr Können brav nach ihren Vorgaben zu arbeiten, geschweige denn, einem weitaus erfahreneren Baumeister zuzuhören und seine gutgemeinten Ratschläge in die Tat umzusetzen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schwankte. Alles um sie herum stürzte in sich zusammen. Aber war das wirklich ihre Schuld? Von Anfang an hatte sie versucht Urban klarzumachen, dass sie keine richtige Baumeisterin war. Ihr von ihm so übertrieben gelobter Entwurf für das neue Haus in der Junkergasse bestach allein deshalb, weil sie ihn aus verschiedenen Zeichnungen ihres Ahns Laurenz zusammengeschustert hatte. Es fehlte ihr nicht allein am nötigen Einfallsreichtum, etwas Eigenständiges zu entwickeln, sondern auch an der Erfahrung, das aus alten Vorlagen Abgekupferte sinnvoll umzusetzen. Noch dazu zeigte sich an Miehlke, wie wenig die Handwerker bereit waren, den Anweisungen einer Frau Folge zu leisten.
»Miehlke sagt, das geht nicht, weil er es einfach nicht will«, stellte Veit knapp fest. Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter, in seinen grünbraunen Augen blitzte es spöttisch. Er strich sich über den dunkelbraunen Faltrock, drückte das breite Kreuz stärker durch, was ihn größer und imposanter wirken ließ. Dora schmolz dahin. »Letztens habe ich Euch schon ausführlich meine Meinung zu Handwerksmeistern wie ihm gesagt. Wer zeit seines Lebens nicht über die Mauern seiner eigenen Stadt hinausschaut, wird nie erfahren, wie es dahinter aussieht, geschweige denn begreifen, welche Möglichkeiten sich ihm dort draußen erschließen. So wird sein Schaffen immer nur die stete Wiederholung des einmal Gelernten bleiben.«
»Da kann ich ihm wohl guten Gewissens die Hand reichen. Auch meinem Tun wird dieses Schicksal beschieden sein, sofern ich überhaupt jemals noch die Gelegenheit erhalte, nach dem Haus meines Gemahls ein weiteres Gebäude zu entwerfen und einen Bau zu beaufsichtigen.« Traurig wandte sie sich dem großen Tisch zu, sammelte die Stifte ein und griff nach Laurenz Seleges Werkmeisterbuch, das neben dem auseinandergefalteten Entwurf lag. Voller Wehmut streichelte sie über den abgeriebenen Ledereinband. Die durch die Fenster großzügig einfallende Sonne hatte ihn angenehm aufgewärmt.
»So dürft Ihr nicht reden.« Sanft legte Veit seine große schlanke Hand auf die ihre, umschloss sie und den darin befindlichen Oktavband. Die unverhoffte Berührung traf sie wie ein Schlag. Abermals wurde ihr flau, zugleich spürte sie ein kaum zu stillendes Verlangen, ihm einfach um den Hals zu fallen und sein geliebtes Angesicht mit Küssen zu überdecken. Sie erschrak. Wieder fühlte sie sich bei einem schweren Verstoß ertappt. Wie konnte sie Derartiges nur denken, geschweige denn herbeisehnen? Sie senkte die Lider, entzog ihm ihre Hand und trat mit dem Buch vor das mittlere der drei Doppelfenster, die auf den Mühlenberg hinausgingen. Angestrengt sah sie hinaus, versuchte gleichmäßiger zu atmen und Ordnung in die wirren Gedanken zu bringen. Die Knöchel ihrer Finger zeichneten sich weiß unter der Haut ab, so fest umklammerte sie das Werkmeisterbuch des Ahns in ihren Händen.
Nach dem Überstehen der Eisheiligen und der Kalten Sophie war der Frühling an den Pregel zurückgekehrt. Die düsteren Regenwolken hatten sich verzogen, das lichter gewordene Gewölk schenkte der Sonne wieder ausreichend Gelegenheit, die Welt mit wohltuender Wärme zu überziehen. Das Strahlen oben am Himmel übertrug sich auf die Gesichter unten auf Erden. Dora meinte an diesem ersten Tag der neuen Woche in dem Getümmel auf dem Mühlenberg nur mehr gute Laune zu entdecken. Selbst das sonst von Ungeduld begleitete Warten vor der hölzernen Schlossbrücke schien auf einmal niemanden sonderlich zu stören. Schüchtern mischten sich einige Bauernmädchen unter die Händler, Fuhrleute und Handwerker und boten bunte Frühlingsblumen feil. Viel lieber als zu diesen zart duftenden Sträußen aber griffen die Männer bei den
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