Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
offenen Tür. Ihr Blick fiel auf die ordentlich gedeckte Tafel. Das wenigstens hatte Elßlin also geschafft. Leise zählte sie bis drei, dann rief sie in die Diele zurück: »Wahrscheinlich wird sie noch mehr toben, wenn sie erfährt, dass Ihr ein kostbares Buch aus dem Besitz der Seleges in die herzogliche Bibliothek zu Polyphemus verschleppt habt.«
»Was wollt Ihr damit …, Ihr wisst doch, daran ist nicht …« Mitten im Satz brach Gret ab. Das war Mathilda Bestätigung genug, das Richtige gesagt zu haben. Zufrieden trat sie in die Stube, schloss die Tür und näherte sich händereibend dem Kachelofen, als sie eilige Schritte vernahm. Erdreistete sich Gret etwa, doch noch einmal zu ihr zu kommen? Gerade legte sie sich eine passende Erwiderung zurecht, als die Tür aufschwang und Veit Singeknecht hereinstürmte. Das Lächeln auf seinem kantigen Gesicht war verschwunden. Stattdessen waren seine Züge schreckgezeichnet.
»Von welchem Buch aus dem Besitz der Seleges habt Ihr da gerade geredet? Es handelt sich doch nicht etwa um das berühmte Werkmeister…«
»Mein lieber Singeknecht«, fiel sie ihm betont freundlich ins Wort, »es gibt viele Dinge in diesem Haus, die gehen Euch als Außenstehenden nicht das Geringste an.«
23
S osehr sich Dora bemühte, sie konnte es einfach nicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Von neuem befiel sie Schwindel. In den letzten Tagen spürte sie den immer häufiger. Morgens beim Aufwachen war er von einer entsetzlichen Übelkeit begleitet, nun aber überkam sie lediglich ein leichtes Schwanken sowie das Verlangen, sich haltsuchend irgendwo anzulehnen. Die Ursache lag auf der Hand. Die verbotene Nähe zu Veit Singeknecht, das ungehörige Alleinsein mit ihm in der Werkstatt versetzte sie in Taumel. Nichts davon durfte sie sich anmerken lassen. Tief atmete sie durch. Völlig unmöglich, daran zu denken, in dieser Verfassung den Finger auszustrecken und auf die Fialenspitze am Erker zu deuten, um ihm das Gewünschte zu zeigen. Das heftige Zittern würde sie sogleich verraten. Ihr Blick klebte an Veits Hinterkopf. Tief hatte er sich über die Zeichnung auf dem Tisch gebeugt und studierte sie aufmerksam. Wenn sie ihn recht verstanden hatte, wartete er auf eine Erklärung zum vorgesehenen Durchmesser der Säulenspitze. Sie war verwirrt. Weder konnte sie ihm das Richtige antworten noch ihm das betreffende Bauelement auf dem Plan zeigen. Viel zu sehr zog sie sein Anblick in Bann. Jede einzelne Strähne seines dunklen, kurzgeschnittenen Haares hätte sie inzwischen auswendig auf einen Bogen Papier zeichnen können. In den Falten, die die Haut des Halses über dem Kragen seines Rockes warf, flaumten hellere Härchen auf. Schon juckte es sie in den Fingerspitzen, zärtlich darüberzustreichen. Sie mussten sich weich und warm anfühlen. Sie seufzte leise. Allmählich wurde die Situation unerträglich.
Hatte sie sich nicht vorgenommen, ein für alle Mal die sündige Träumerei seinzulassen? Kaum eine Woche war es her, dass sie mit ihrem Gemahl so überaus glückliche Stunden im Wald der tanzenden Bäume durchlebt hatte. Kaum aber dachte sie daran, kam ihr sogleich die Erinnerung an Urbans rätselhaftes Verhalten nach dem Überfall in den Sinn. Seither rückte er immer weiter von ihr ab. War es ein Wunder, dass darüber der verbotene Traum wieder Oberhand gewann?
»Mir will nicht in den Kopf, was Miehlke stört«, erklärte Veit mitten in ihre Gedanken mit seiner wohltönenden Stimme und holte sie damit in die Gegenwart zurück. Zögernd richtete er sich auf, ohne den Blick von dem Entwurf abzuwenden. Er hob die rechte Hand, fuhr sich nachdenklich über das eckige Kinn. Die frisch rasierten Bartstoppeln knisterten unter der Berührung. »Die Höhe der Fiale ergibt sich eindeutig aus den Proportionen des Erkers. In Bezug auf die jeweiligen Geschosse sowie im Zusammenspiel mit der Anlage der Fensterfront zur Straßenseite und dem geplanten Stufengiebel ergibt das ein sehr rundes Bild. Das alles ist völlig einwandfrei. Das sollte Miehlke endlich begreifen und nicht immer wieder von neuem trotzig auf diesem Punkt beharren.« Er drehte sich zu ihr um und lächelte.
Sie zuckte zusammen. Es dauerte einen Moment zu lange, bis die Bedeutung seiner Worte in ihr Hirn sickerte. »Miehlke m-m-m-meint, also er d-d-d-d-denkt, ich glaube, er hat gesagt, die Fiale wäre zu filigran. Das haben wir vor vier Wochen schon einmal besprochen, vor meiner Abreise, wie Ihr Euch erinnert. Er behauptet nach wie
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