Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
leeren Bierfass zu ihr. »Langsam begreife ich deinen Plan. Wahrscheinlich hast du ihn schon vor unserer Heirat ausgeheckt.«
»Wie kommst du darauf?«
»Entweder ist dein Vetter Veit ein ebenso törichtes Werkzeug in deiner Hand wie ich, oder ihr beide habt von Anfang an unter einer Decke gesteckt«, zeterte Jörg plötzlich weiter. »Kein Wunder, dass er mit den Entwürfen für das Sudhaus und den ausgebauten Bierkeller so rasch bei der Hand war. Obwohl er das Bauen aus der Ferne lediglich per Brief begleitet hat, wusste er stets über alles bestens Bescheid. Das beweist, dass er schon in den ersten Wochen hier in Königsberg das Grundstück vermessen und die ersten Pläne angefertigt haben muss. Noch letzte Woche hat er mir aus Krakau genaueste Anweisungen geschrieben, wie ich die Ausfahrt auf die Domgasse günstiger ausbauen lassen soll. Das ist doch gar nicht anders zu erklären, als dass ihr beide von Beginn an vorgehabt habt, hier in Königsberg die Brauerei mit einem Handel zu verbinden, weil euch das in Nürnberg verwehrt geblieben ist. Gründlich an der Nase herumgeführt habt ihr mich, weil es euch allein um die Brauerei gegangen ist und niemals wirklich um mich und meine Liebe zu dir.«
»Was redest du da?« Von ihnen beiden unbemerkt, hatte Dora den Keller betreten. Gret erschrak über ihr lautloses Auftauchen ebenso wie Jörg. Seit Doras seltsamem Blick an Urbans Totenbett fühlte Gret sich in ihrer Nähe mehr als unbehaglich, fürchtete sie doch, dass die Schwägerin ahnte, dass Urban ihr unbekannter Vater sein könnte. Einem klärenden Gespräch aber waren sie beide bislang geflissentlich aus dem Weg gegangen, was ihrer beider Angst vor der Wahrheit bewies. »Wieso hat Veit die Pläne für den Wiederaufbau des Hauses erstellt?«, sprudelte Dora los. »Wie konnte er dir erst letzte Woche noch Genaueres dazu schreiben, wo doch angeblich niemand weiß, wo er steckt und was aus ihm geworden ist? Ihr beide steht also in regelmäßigem Kontakt zu ihm! Seit Veits Flucht vor zwei Jahren wisst ihr genauestens Bescheid, wo er sich aufhält. Und ihr schämt euch nicht einmal, seine Pläne als Jörgs auszugeben. Das ist elender Betrug!«
Sie stürzte sich auf ihren Bruder, packte ihn am Rockkragen, schüttelte ihn wild und begann mit den Fäusten gegen seine Brust zu trommeln. Der unerwartete Angriff hatte Jörg derart überrascht, dass er zunächst außerstande war, sich zu wehren.
Auch Gret war zu verblüfft, um einzuschreiten. Erstaunt verfolgte sie den Ausbruch. Er überraschte sie nicht allein seiner Heftigkeit wegen, auch Doras Erscheinung befremdete sie. Zum ersten Mal seit Urbans Tod hatte Dora das Trauergewand gegen ein dunkelgrünes Samtkleid eingetauscht, trug darüber einen lindgrünen Goller, der mit golddurchwirkten Schnüren sowie Goldknöpfen verziert war. Die ungewohnte Farbe der Tracht verlieh ihrer zierlichen, großgewachsenen Gestalt eine ganz besondere Anmut, ließ selbst in dem von Fackeln ungleichmäßig ausgeleuchteten Keller die verschiedenfarbigen Augen kräftig funkeln. Dieser Eindruck aber stand im krassen Gegensatz zu ihrem sonstigen Gebaren. Die Erfahrungen der Witwenzeit sorgten für einen strengen Zug um die Mundwinkel, erste Falten gruben sich um die Augen ein. Die herzförmigen Lippen waren blass. Kinn und Wangenknochen wirkten ebenfalls spitzer als ehedem und ließen Dora erschreckend schmal aussehen. Auch ihre Wangen waren stark eingefallen. Dora schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Wäre sie nicht so laut schreiend auf ihren Bruder losgestürmt, wäre Gret versucht gewesen, sie für einen Geist zu halten. Der eigenartige Blick vom Totenbett hing ihr bis in die nächtlichen Träume nach.
»Bist du von Sinnen?« Endlich gelang es Jörg, Dora an den Handgelenken zu packen und sie mit einem heftigen Ruck von sich wegzustoßen. Dabei verrutschte die Haube auf ihrem Kopf und gab für einen kurzen Moment den Blick auf das dunkelblonde Haar frei. Gret schauderte, meinte sie doch, es wäre aschig geworden. Sicher musste es sich um eine Täuschung handeln. Oder hatte der Kummer über Urbans Tod aus der zwanzigjährigen Schwägerin jäh eine alte, grauhaarige Frau werden lassen? Ehe sie sich dessen vergewissern konnte, rückte Dora die Haube wieder zurecht, versteckte das Haar darunter. Die Bewegung schien Gret viel zu hastig. Voller Mitleid legte sie ihr die Hand auf die Schulter.
»Beruhige dich und koste erst einmal einen Schluck von unserem Sommerbier. Das wird
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