Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
es ist, im heißen Sommer ganz aufs Brauen zu verzichten. Jedes Kind weiß, wie sehr warme Temperaturen dem Bier schaden. Es kühlt langsamer ab und erträgt das Lagern deshalb schlechter. Was haben wir davon, Bier zu brauen, das wir nach kurzer Zeit schon wegschütten müssen, weil es verdorben ist? Die Arbeit kann man sich gleich sparen und die so gewonnene Zeit für anderes nutzen. Davon abgesehen haben wir sehr viel Geld ausgegeben, um das Bierlager hier im Keller einzurichten und das Sudhaus im Hof zu bauen. Auch die Dienste von Matas und Szymon kosten uns einiges. Dein Vater wäre sicher verstimmt, wenn wir diese hohen Ausgaben nicht wenigstens wieder hereinbekommen. Das aber gelingt uns nur, wenn wir künftig mehr Bier verkaufen, und das nicht allein in den Königsberger Städten.«
»Davon war bislang nie die Rede.« Von neuem verschwand das Lächeln auf Jörgs Gesicht, seine Schultern sackten nach vorn. Gret, die nahezu gleich groß war wie er, unterdrückte den Drang, ihn mit einem kräftigen Klaps auf den Rücken wieder aufzurichten. »Du kennst die Tradition unserer Familie. Wir Seleges sind vor allem Baumeister. Das Bierbrauen dient nur dazu, das auf der Hausstelle liegende Recht zu unserem Wohl auszunutzen und uns zudem eine weitere Einnahme zu sichern. Mehr war und ist damit nicht anzufangen.«
»Was redest du da?« Gret meinte sich verhört zu haben. »Hast du vergessen, wie kümmerlich es mit der Tradition der Baukunst bei dir und deinem Vater bestellt ist? Wie viel besser wäre es für uns alle, wenn das Bierbrauen unser Haupterwerb würde. Davon verstehst du wenigstens was und bist bereit, dazuzulernen. Doch dafür müssten wir künftig mehr …«
»Was fällt dir ein«, brauste Jörg auf. Zu ihrem Entsetzen hob er die Hand, als wollte er ihr eine Maulschelle verpassen.
Erschrocken duckte sie sich weg. Zugleich tat es ihr leid, ihn derart in seiner Ehre getroffen zu haben. Hastig versuchte sie ihn zu beschwichtigen. »Verzeih, Liebster, das war töricht von mir. Ich wollte weder deine noch deines Vaters Fähigkeiten kleinreden. Doch wenn du ehrlich bist, dann weißt du selbst längst um die Wahrheit. Du bist kein geborener Baumeister. Eigentlich fehlt dir jedes Gespür für das rechte Maß, die Kühnheit eines Entwurfs und die Ausdauer, die ersten Pläne bis zum Ende umzusetzen. Das hast du mit deinem Vater gemein. Um euch beide hat die Baumeistertradition der Seleges eben einen weiten Bogen geschlagen. Deine Schwester dagegen weiß, wie man einen Aufriss für ein Gebäude gestaltet, das den Betrachter auf Anhieb in Bann zieht. Sie versteht es, ihm eine Vorstellung dessen zu geben, was aus Stein zu schaffen ist. Mit wenigen Federstrichen entwirft sie eine ganze Welt.«
Über ihren Worten sackte Jörg noch mehr in sich zusammen. Sosehr er sie einerseits dauerte, so sehr ärgerte sie das andererseits. Unwillkürlich versetzte sie ihm nun doch den mahnenden Klaps auf den Rücken.
»Aber das heißt noch lange nicht, dass du gar kein Talent besitzt«, rief sie empört. »Denk nur daran, mit welcher Begeisterung du die Aufzeichnungen deiner Ahnin über das Bierbrauen studierst, wie du dir in Nürnberg sämtliche Brauhäuser angeschaut, mit den Bierkiesern geredet und dir die verschiedenen Biermuster sowie das Vorder-, Mittel- und Nachbier hast erklären lassen. Rotbier hast du zu brauen gelernt, selbst an das niederländische Weißbier hast du dich gleich gewagt. Von deinem Eifer, ein eigenes Sudhaus und diesen Lagerkeller einzurichten, ganz zu schweigen. Die Braukunst zu beherrschen zählt nicht weniger, als wenn einer sich auf die Baukunst versteht. Es muss nur in die Köpfe rein, dass Brauen nicht allein Weibergeschäft, sondern gleichermaßen ein einträgliches Gewerk für Männer ist. Auch damit lässt sich Geld verdienen, wie die Beispiele der Kaufherren aus Einbeck, Hamburg, Lübeck und anderen Hansestädten beweisen. Oder warum sonst reißen die sich um das Braurecht? Seit einigen Menschenaltern schon verkaufen sie es bis in den hohen Norden. Selbst in den Süden lässt sich der bayerische Herzog das Bier aus Einbeck liefern, weil ihm das Münchener zu sauer ist.«
»Darauf willst du also hinaus.« Ein eigenartiger Ausdruck machte sich auf Jörgs fahlem Antlitz breit. Zum ersten Mal störten sie die kindlich glatten Wangen, auf denen kaum ein Barthaar spross. Er trat einen Schritt zurück, schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Stimme klang hohl, als spräche er aus einem
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