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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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dir guttun.«
    4
    E ntschlossen fasste Gret die Schwägerin an der Hand und führte sie die Treppe hinauf. Scheinbar willenlos ließ Dora sie gewähren, was Gret von neuem erstaunte. In der Diele wies sie die Magd an, eine Kanne Bier in die Werkstatt zu bringen. Kurz nach ihnen tauchte auch Jörg auf der Treppe nach oben auf.
    »Wahrscheinlich willst du dir in Ruhe die Entwürfe unseres Hauses ansehen. So kannst du dich am besten davon überzeugen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist«, erklärte Gret der Schwägerin. Jörg schnaufte verächtlich, sie aber warf ihm einen mahnenden Blick zu.
    Zu dritt betraten sie die Werkstatt. Anders als in dem früheren Haus der Seleges befand sie sich erst im dritten Geschoss des Hauses. Dank dessen hatten im zweiten Stock vier zusätzliche Schlafgemächer für die Familie eingefügt werden können. Auch der Stufengiebel des Hauses war um ein weiteres Geschoss erhöht worden, so dass es damit insgesamt über sechs Stockwerke verfügte. Gret war nach wie vor stolz darauf, sah man dem Haus so gleich von außen die gestiegene Bedeutung der Seleges an. Wenzel dagegen hatte über die vermeintliche Verschwendung geschimpft, sich dann aber einsichtig gezeigt, sobald er die Vorteile vor Augen hatte. Die höhere Lage der Werkstatt bescherte ein einmaliges Licht auf den Zeichentischen. Drei große doppelflügelige Fenster gewährten dem Tageslicht Einlass. An Sonnentagen wie diesem ergoss es sich verschwenderisch ins Innere. Zudem lagen Wenzels und Lienharts Kammern auf demselben Stockwerk und waren damit von Grets und Jörgs direktem Umfeld im zweiten Stock abgetrennt.
    »Wo also sind die Pläne für das Haus?«, platzte Dora heraus, sobald die Magd das Bier gebracht und sie wieder allein gelassen hatte. »Wo versteckt ihr Veits Anweisungen zum Bau? Zeigt mir alle seine Briefe. Mit eigenen Augen möchte ich sehen, was ich eben unten im Keller gehört habe.«
    »Dora, bitte«, setzte Jörg an.
    Gret aber ging gleich dazwischen: »Warum regst du dich auf? Was ist schon dabei, wenn Veit Jörg aus der Ferne mit den Plänen geholfen hat? Er ist damit einverstanden, dass alle Welt das Anwesen für Jörgs Werk hält. Du weißt schließlich genauso gut wie wir, wie es um Jörgs Talent in der Baukunst bestellt ist. Soweit ich mich erinnere, hast du vor einigen Jahren einmal Ähnliches ausgeheckt. Oder zählt das, was du damals mit dem Entwurf für das Haus von Gerichtsrat Jonas an der Schlosstreppe vorhattest, nicht, weil du den Anstoß dazu gegeben hast und nicht Jörg oder Veit?«
    Doras Antlitz wurde noch blasser. Sie senkte den Blick. Stille breitete sich in der Werkstatt aus. Um sich abzulenken, schaute Gret auf die Regalwand an der gegenüberliegenden Längsseite. Zwar hatten sie nach dem Brand nur wenige der alten Pläne und Bücher retten können, in der Zwischenzeit aber hatten sich die Fächer wieder gut gefüllt. Mittendrin, auf einer Art Ehrenplatz, ruhte das alte Minnesangbuch aus den Beständen des Fischartschen Familienzweigs. Als Grets Blick darauf fiel, kam ihr der rettende Gedanke. In wenigen Schritten stand sie vor dem Regal, nahm das schwere Buch heraus und trug es zum Tisch. Gleich war zu sehen, wie sehr der Umfang des Buches angeschwollen war. Zwischen den Seiten blitzten lose Blätter hervor, die den Einband aufblähten und am geleimten Rücken zerrten.
    Behutsam schlug Gret es auf, blätterte hin und her, bis sie in den losen Blättern gefunden hatte, was sie suchte. Lächelnd reichte sie es Dora. Es handelte sich um einen der Briefe, die Veit ihnen in den letzten beiden Jahren geschrieben hatte. Die dicht aneinandergereihten Zeilen bestachen durch seine akkurate Handschrift. Einige Zeichnungen waren dazwischen eingefügt, die nicht weniger sorgfältig ausfielen.
    »Lies selbst!«, forderte sie die Schwägerin auf. »Den Brief hat er uns erst vor wenigen Wochen aus Krakau geschickt.«
    »Krakau?«, echote Dora, nahm das Schreiben in die Hand und studierte es gründlich. Jörg wurde bereits ungeduldig, aber Gret hielt ihn zurück.
    Endlich ließ Dora das Blatt sinken, schaute zwischen ihnen hin und her. Von neuem wunderte sich Gret. Hatte sie vorhin im Keller über die veränderte Kleidung und die dadurch betonte Anmut gestaunt, so verblüffte sie nun ein besonderer Ausdruck in den verschiedenfarbigen Augen. Gebannt versuchte sie ihn zu enträtseln, herauszufinden, ob sie vorhin das Richtige getan hatte. Die alte Angst kroch ihr wieder den Rücken hinauf. Was mochte

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