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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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schaute er tatenlos zu. Was gäbe sie darum, wenn er in solchen Momenten wenigstens ein Quentchen von Lienharts Temperament besäße. Der zwölfjährige Bruder wäre seiner Schwester entschlossen in die Arme gefallen, um sie von der unerlaubten Sucherei abzuhalten. Gerade als Gret selbst Hand anlegen wollte, beendete Dora ihr Treiben.
    »Bewahrt Vater in seinem Schlafgemach noch weitere Schriftstücke auf?«
    »Du wirst nicht hinübergehen und nachschauen.« Gret erbleichte. Die Veränderung, die sie eben an der Schwägerin festgestellt hatte, verhieß offenbar eher Ärger denn Gutes. Flink versperrte sie ihr mit ausgestreckten Armen die Tür. »Ohne sein Einverständnis darfst du sein Schlafgemach nicht betreten. Warte, bis er zu Hause ist, dann kannst du ihn um das bitten, was du haben willst.«
    »Was willst du überhaupt von ihm?« Endlich erwachte Jörg aus seiner Starre. »Fast alle seine Auftragsbücher und Pläne, die er jemals in seinem Leben angefertigt hat, sind bei dem Brand zerstört worden. Das wenige, was in den beiden Jahren danach entstanden ist, kennst du, weil es entweder noch in deinem Haus am Mühlenberg liegt oder er es dir hier in der Werkstatt vorgeführt hat. Ohnehin ist es spärlich genug für einen Mann von seiner Erfahrung.«
    »Es geht mir nicht um seine Entwürfe. Ich suche etwas, was er letzten Sommer aus Urbans Studierstube mit hierhergenommen haben muss.«
    »Dora!« Entgeistert sah Gret die Schwägerin an. »Du willst deinem Vater doch nicht etwa unterstellen, er hätte etwas von Urbans Sachen gestohlen?«
    »Aber nein!«, wehrte Dora lachend ab. »Wenn er es tatsächlich mitgenommen haben sollte, war es ein Versehen, keine Absicht. Fast anderthalb Jahre hat er in Urbans Gemach gewohnt. Da kann es gut sein, dass er beim Einpacken nicht so genau darauf geachtet hat, was er einsteckte. Zumal, wenn es sich um eine kleine Sache handelte.«
    »Sag endlich, was es sein soll«, unterbrach Jörg sie von neuem.
    »Urbans Chronik, die er seit Jahren über die Geschehnisse in der Stadt geführt hat.« Dora blieb trotz des schwelenden Ärgers erstaunlich ruhig. »Es ist ein schmaler Oktavband mit braunem Lederumschlag. Wertvoll ist er nicht, aber für mich ist er von unschätzbarer Bedeutung. Immerhin hat Urban die Aufzeichnungen mit eigener Hand geführt. All seine Gedanken sind dort hineingeflossen. Überall schon habe ich danach gesucht, aber leider habe ich den Band nicht mehr gefunden. Deshalb dachte ich, Vater hätte ihn womöglich aus Versehen eingesteckt. Bitte, lasst mich drüben in seinem Schlafgemach nachschauen.«
    Gret rang nach Luft. Ohne es zu ahnen, lieferte Dora ihr gerade womöglich den Schlüssel zu all den Rätseln der Vergangenheit. Warum war sie nie selbst auf das Naheliegende gekommen? Ein so gelehrter und umsichtiger Mann wie ihr Schwager hatte selbstverständlich Aufzeichnungen über seine Erlebnisse geführt. Sosehr es sie drängte, diese zu lesen und damit die lang erhoffte Antwort auf die große Frage ihres Lebens zu finden, so sehr fürchtete sie sich davor. In keinem Fall durfte sie Dora in Wenzels Gemach danach suchen lassen. Niemals durfte sie die Wahrheit als Erste erfahren. Schwindel erfasste Gret. Wie wollte sie Dora aufhalten? Sehnlichst wünschte sie sich zurück in den kühlen Keller. Dort fiele ihr das Denken leichter als in der von der Sonne kräftig aufgeheizten Werkstatt. Vom angestrengten Denken drohte ihr der Kopf zu platzen.
    Dora schien dagegen von neuen Kräften erfüllt. Ehe Gret sichs versah, lief sie zum Tisch und griff nach Veits Brief, den sie dort abgelegt hatte. »Darf ich wenigstens den Brief haben? Er würde mir viel bedeuten.«
    Gret und Jörg wechselten ratlose Blicke. Gret wollte ihr die Bitte ausschlagen, doch Jörg kam ihr zuvor. »Nimm ihn, Schwesterherz. Wenn er dir Trost bedeutet, freut es mich. Veit wird nichts dagegen einzuwenden haben.«
    »Was hast du damit vor?« Anders als ihr Gemahl blieb Gret argwöhnisch. Die Launen der Schwägerin wechselten zu rasch. Oder lag es an ihr? Womöglich trübte ihr die Schwangerschaft schon zu diesem frühen Zeitpunkt das Hirn. Kaum wollte sie sich ausmalen, wie das in den nächsten Monaten weitergehen würde. Ihre Lust, abermals einem Kind das Leben zu schenken, schmolz dahin. Mit einem Anflug von Neid betrachtete sie Dora. Deren Augen leuchteten geradezu. Ein unwiderstehlicher Tatendrang erfüllte sie. Was gäbe sie dafür, mit ihr tauschen zu können. Plötzlich war ihr Argwohn wie

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