Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
weggewischt. Sie lief zu ihr, fasste sie an den Händen. »Verzeih meine Neugier. Natürlich darfst du tun und lassen, was du willst. Lass mich nur wissen, wenn ich dir helfen kann.«
»Das kannst du ganz sicher.« Dora strahlte. »Ich werde verreisen.«
»Was?«, riefen Gret und Jörg wie aus einem Mund. Gleich stand Jörg neben den beiden Frauen, fasste seine Schwester unsanft am Arm, woraufhin Dora einen leisen Aufschrei ausstieß. »Wohin und wieso?«
»Nach Krakau natürlich«, erwiderte Dora. »Solange Veit dort noch anzutreffen ist, muss ich ihn dringend sprechen.«
»Schreib ihm besser einen Brief.« Jörg beruhigte sich rasch wieder. »Gleich morgen werden wir ihn abschicken. Ich habe einige dringende Angelegenheiten mit ihm zu klären. Wir können die Schreiben gemeinsam versiegeln.«
»Es gibt einen viel besseren Vorschlag, du gibst mir deinen Brief einfach mit. Ich muss Veit in jedem Fall persönlich sprechen.« Dora raffte ihren Rock, eilte zur Tür und drehte sich dort noch einmal um. »Meine kleine Johanna wird bei Elßlin und Renata am Mühlenberg gut aufgehoben sein. Gret, versprichst du mir, täglich nach dem Rechten zu sehen? Mathilda soll meine Abwesenheit nicht noch einmal ausnutzen, um Renata wieder ins Tollhaus zu bringen.«
»Dieses Mal werde ich das bestimmt verhindern.« Doras Vertrauen ehrte Gret. Stolz sah sie zu Jörg, dessen Antlitz wieder einmal von Kummer gezeichnet war.
»Ich wusste, auf dich ist Verlass. Du hast das richtige Gespür.«
Doras letzte Bemerkung ließ Gret aufhorchen. Schweigend sahen sie einander in die Augen, und plötzlich begriff Gret, wie ähnlich sie einander nicht nur vom Äußeren, sondern auch vom Wesen her waren. Hastig eilte sie zu ihr und drückte sie an ihre Brust. »Pass gut auf dich auf, und wage nur das, was du einzuschätzen weißt.«
Hand in Hand verließen sie die Werkstatt, stiegen die Treppe hinunter und verabschiedeten sich in der Diele zärtlich voneinander.
Beseelt von dem gerade Erlebten, kehrte Gret in den kühlen Keller zurück und schaute sich im Gewölbe um. Die erfrischende Kühle ließ ihren Kopf rasch wieder besser arbeiten. Was war das für eine seltsame Begegnung mit der Schwägerin gewesen. Ihre Angst, Dora würde etwas von der schrecklichen Möglichkeit ahnen, Urban wäre ihr Vater, schmolz dahin. Dafür öffneten sich neue Wege. Doras grenzenloses Vertrauen rührte sie, zugleich barg es die Gelegenheit, sich im Haus am Mühlenberg auf eigene Faust auf die Suche nach Urbans Aufzeichnungen zu machen. Dass Dora nicht fündig geworden war, hieß nicht, dass der Band verloren war. Gret wurde unruhig. Ob sich damit tatsächlich das drängendste Rätsel ihres Lebens löste? Wie nah war sie auf einmal der lang ersehnten Wahrheit! Kaum konnte sie die Abreise der Schwägerin erwarten. Sie klopfte auf eines der Fässer, erfreute sich an dem vollen Klang. Bis zu Doras Rückkehr würde sie auch mit ihren Plänen zum Bierbrauen ein gutes Stück vorankommen. Wenzel würde staunen, was sie alles bewerkstelligte.
5
D oras Hände zitterten, als sie sich die Bundhaube auf den Kopf setzte. Kaum wollten ihr die Finger gehorchen, um die letzten Strähnen ihres dunkelblonden, welligen Haares darunterzustecken, so aufgeregt war sie. Im Licht der Talglampe betrachtete sie sich prüfend in dem kleinen Spiegel. Es fiel ihr schwer, sich mit der Frau im Spiegel in eins zu bringen. Waren ihre besten Jahre etwa schon vorbei, ehe sie eigentlich so richtig begonnen hatten? Gelegentlich war ihr, als hätte der dreißig Jahre ältere Urban ihre Jugend mit ins Grab genommen. Anders waren das farbloser gewordene Haar sowie der leicht bittere Zug um den Mund nicht zu erklären. Aus einer achtzehn Jahre jungen Ehefrau war eine zwanzig Jahre alte Witwe geworden.
Vor Entsetzen drehte sie sich so schwungvoll um, dass die Flamme des Talglichts in bedrohliche Schieflage geriet. Das Spiegelbild tanzte unruhig, bis sich das Licht wieder gerade aufrichtete. Von neuem blickte ihr eine fremde Frau entgegen, dieses Mal jedoch vermittelte sie ihr einen Anflug von Hoffnung. Der Verzicht auf die schwarze Trauerkleidung bewirkte ein kleines Wunder. Die gedämpften Farben entzogen ihrer Erscheinung etwas von der Strenge, die das blasse Gesicht und die schlanke Figur hervorriefen. Sie wiegte sich in den Hüften, sah an dem dunkelroten Kleid hinunter. Es war aus schlichtem Damast gefertigt, am Mieder lediglich mit drei Goldknöpfen verziert. Ebenso besaß der farblich
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