Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Schmiedebrücke musste sie stehen bleiben, den Korb abstellen, beide Hände in den Rücken stützen und tief Luft holen.
»Was fällt Euch ein!« Erbost schubste sie ein Mann weg, der mit seinem Karren fast in sie hineingerannt wäre. »Geht gefälligst beiseite, wenn Ihr die Aussicht auf den Fluss genießen wollt.«
»Schon gut«, murmelte sie kleinlaut. Schwer keuchend schob er seinen Karren wieder an. Ein winziger grauer Hund folgte ihm mit hängendem Kopf. Mehrmals trat der Mann nach dem Tier, erbärmlich jaulend zog es den Schwanz ein. Gret wollte ihm etwas Böses nachrufen, kam jedoch nicht dazu, weil zwei andere Knechte sie ebenfalls unsanft anrempelten. Ohne sich um sie zu kümmern, eilten sie weiter. Sie stolperte fast über ihren Korb. Im letzten Moment fand sie Halt am Brückengeländer. Eine ältere Frau mit weißen Haaren unter einer auffallend bunten Haube erkundigte sich besorgt nach ihrem Wohlbefinden.
»Geht schon wieder«, entgegnete sie und lächelte die Fremde dankbar an. Dabei fiel ihr auf, dass die Frau seltsam verwachsen war. Zwar war sie nahezu gleich groß wie sie, aus ihrer linken Schulter aber erwuchs ein Buckel, der ihren Oberkörper nach vorn krümmte. Selbst der üppig von bunten Fäden durchwirkte Goller mit dem auffälligen Kragen und die fröhlichen Bänder an ihrer Haube vermochten die Missbildung nur schlecht zu verdecken. Die Frau selbst schien sich ihr kaum mehr bewusst. Das Lächeln auf ihrem faltigen Gesicht wirkte auf Gret wie ein strahlender Sonnenschein. An diesem viel zu trüben Junitag wärmte es ihr Gemüt auf wundersame Weise.
»Bei mir war es jedes Mal aufs Neue sehr beschwerlich«, erklärte die Frau mit einer sehr angenehmen Stimme. »Mit jedem weiteren Kind unter meinem Herzen fing es früher an. Wir Frauen können es leider immer nur so nehmen, wie es kommt, und demütig hoffen, die langen Monate mit der zusätzlichen Last einigermaßen gut zu überstehen. Die Freude, am Ende ein gesundes, strammes Kind in Armen zu halten, ist eine herrliche Entschädigung für die mühsame Zeit.«
»Woher wisst Ihr, dass ich …?«, setzte Gret an, doch die Frau legte den Finger über die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. Sanft tätschelte sie ihr die Wange. Seltsamerweise spürte Gret nicht das Verlangen, der kühnen Zärtlichkeit einer völlig Fremden auszuweichen. Im Gegenteil: Sie genoss sie sogar und seufzte leise: »Wenn es nur schon wieder vorbei wäre!«
»Die Zeit vergeht schneller, als Ihr denkt. Bis Jahresende steht noch so viel an. Am Ende werdet Ihr Euch eher wundern, wo die Monate geblieben sind.«
Dieses Mal blieb die warme, weiche Hand der Unbekannten auf Grets Wange liegen. Gret sog den angenehmen Duft ein, eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Mischung aus Rosen, Veilchen und Wiesenblumen. Sie sah der Frau in die Augen, meinte in dem Grünblau einzutauchen wie in einen schimmernden Waldteich. Ihr wurde wunderbar leicht.
»Geht nur wieder weiter Eures Weges, meine Liebe, sonst werdet Ihr Euer Tagwerk kaum erledigen.« Aufmunternd klopfte ihr die Frau auf die Schulter.
Gret bedauerte das viel zu frühe Ende der angenehmen Begegnung. »Wer seid Ihr eigentlich? Und woher wisst Ihr das alles über mich?«
»Mein Name ist Mechthild Barwasser. Als Hebamme stünde es mir schlecht an, nicht zu wissen, wie es um Euch steht.«
»Ihr seid Hebamme? Seid Ihr neu in der Stadt? Euren Namen höre ich zum ersten Mal.« Im Stillen begann sie zu überlegen, wie sie es am geschicktesten anstellte, ihre Dienste anzunehmen. Seit Urzeiten schwor die Familie Selege auf eine Hebammenfamilie aus dem Kneiphof. Eigentlich undenkbar, eine andere Wehmutter um Hilfe zu bitten.
»Das muss Euch nicht wundern«, erklärte Mechthild leichthin. »Ich bin erst seit wenigen Tagen in der Stadt und werde mich hier wohl leider kaum als Hebamme verdingen. Eben habe ich beim Rat erfahren, dass man in allen drei Städten Königsbergs keinen Bedarf an neuen Wehmüttern hat. Deshalb versuche ich jetzt als Magd unterzukommen. Schließlich ist mir die Arbeit im Haus mehr als vertraut.«
»So kommt zur Vesper zu mir. Ich bin Gret Selege und wohne in der Kneiphofer Domgasse. Es würde mich freuen, wenn Ihr meine Magd werden wollt.«
Sie streckte der Frau die Hand entgegen. Ohne zu zögern, schlug sie ein. Gret jubelte im Stillen. Schwungvoll bückte sie sich nach dem Korb, hob ihn auf und ging davon.
Als sie am Tor der Schmiedebrücke auf Durchlass in die Altstadt wartete, wurde ihr bewusst,
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