Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
was sie da gerade getan hatte: eine völlig fremde Frau, deren Namen sie eben zum ersten Mal gehört hatte, als neue Magd ins Haus zu bestellen! Dabei brauchte sie doch gar keine zweite Magd, ganz zu schweigen von dem Ärger, der ihr deswegen mit Jörg und dem Schwäher ins Haus stand. Die beiden würden das kaum dulden, erst recht nicht, wenn sie den Buckel der Fremden erblickten. Mechthild Barwasser besaß nicht einmal einen Leumund in der Stadt. Gret glühten die Wangen. Über die Schulter schaute sie zurück zu der Stelle, wo sie der Buckligen begegnet war. Wider Erwarten stand Mechthild noch da und winkte ihr fröhlich zu. Sollte sie zu ihr gehen und das Angebot zurückziehen? Schon setzte sie den Fuß in die Richtung, da erntete sie dafür bei den hinter ihr Wartenden ein empörtes Augenbrauenrunzeln. Zu dicht drängten sich die Wartenden auf der schmalen Brücke zur Altstadt, schirmten den Weg zurück wie eine undurchdringliche Mauer ab.
Gret besann sich. Das Zusammentreffen mit Mechthild war ein Fingerzeig des Schicksals. Sehr wohl brauchte sie eine zweite Magd. In ihrer eigenen Wirtschaft blieb viel Arbeit liegen, weil sie regelmäßig zum Haus der verreisten Schwägerin musste. Daneben sorgte die Schwangerschaft dafür, dass sie jeden Tag langsamer wurde. Hinzu kam die Aufsicht über das Bierbrauen. Je erfolgreicher sie ihr Bier verkaufte, je mehr Aufmerksamkeit erforderte das von ihr. Szymon und Matas waren zwar tüchtig, aber nicht klug. Ohne sie ging da kaum etwas voran. Sollte die Frau am Abend also ruhig in die Domgasse kommen. Bis dahin hatte sie mit Jörg gesprochen und ihrem Schwäher die zwingende Notwendigkeit weiterer Hilfe erklärt. Der gute Absatz des Sommerbieres würde seinen Teil dazu beitragen, Wenzels Herz zu erweichen. Schließlich wuchs sein Stolz über ihren Einfall mit der Braupause mit jeder weiteren Bestellung. Erleichtert erwiderte sie Mechthilds Winken.
Den Weg zum Mühlenberg bewältigte sie zum ersten Mal seit Tagen wieder besser. Fast war ihr zum Singen zumute. Als sie die ersten Tropfen auf den Schultern spürte, schaute sie erstaunt nach oben. Düster und schwer dräuten die Regenwolken. Die hohen Hausgiebel schienen sie regelrecht aufzuspießen, so tief zogen sie über die Dächer hinweg. Gleich würden sie zerplatzen und sich sintflutartig über der Stadt ergießen. Ein dumpfes Grollen kündigte ein Gewitter an. Gret meinte, der Boden unter ihren Füßen würde zu beben beginnen. Schon zerteilte ein heller Blitz das Himmelsgrau und tauchte es für einen Moment in gleißendes Licht. Sturmböen fegten durch die Gassen, ließen die Fensterläden gegen die Hauswände krachen, wirbelten den Staub von der Erde auf. Blindlings rannten die Leute los. Ein jeder kannte nur ein Ziel, sich so schnell wie möglich ins Trockene zu flüchten.
Auch Gret begann zu laufen. Dicke Tropfen klatschten ihr auf die Schultern. Im Nu waren Goller und Kleid völlig durchnässt, auch die Haube klebte regenschwer am Kopf. Der feuchte Stoff ihres Leinenrocks schlang sich mit jedem Schritt enger um die Beine. Längst ähnelte das Straßenpflaster einer glitschigen Rutschbahn. In breiten Rinnsalen floss braunes Dreckwasser den Mühlenberg hinunter. Um das Gesicht gegen die peitschenden Regenböen zu schützen, neigte Gret den Oberkörper vor, sah kaum mehr, wohin sie lief. Allein der Trompetenstoß, der wie jeden Tag um elf vom Schlossturm über die Altstadt schallte, wies ihr den Weg.
»Wie seht Ihr aus!« Wider Erwarten öffnete Katharina König die schwere Eingangstür des Hauses am Mühlenberg. »Kommt nur schnell herein.« Entschlossen zog die kleine, kugelrunde Frau des herzoglichen Bibliothekars sie nach drinnen und schlug die Tür so kraftvoll zu, als gälte es, durch den Lärm das Unwetter auszusperren.
Erleichtert atmete Gret auf, ließ den Korb zu Boden fallen. Nie zuvor hatte sie derart gern die düstere, wenig anheimelnde Diele betreten. Um ihre Füße zeichnete sich rasch eine große Wasserlache ab. Sie stieg aus den Schuhen und rieb sich fröstelnd die Arme.
»Renata, schnell, bring Decken und Leinentücher!«, rief die König nach oben, unternahm jedoch selbst keinerlei Anstalten, Gret aus dem durchweichten Goller zu helfen oder ihr gar die triefend nasse Haube vom Kopf zu nehmen. Zum Glück erklangen bald die eiligen Schritte der dürren Magd auf der Treppe. In Windeseile huschte sie herunter, stürzte auf Gret zu, hüllte sie in wärmende Wolldecken, zauberte wie aus dem Nichts ein
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