Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
dicht vor ihr stehen. Eindringlich sah sie sie an. Dabei wurde sie der verschiedenen Farben von Doras Augen gewahr. Ungläubig blinzelte sie, schaute genauer hin, erblasste. Als Dora ihrem Blick standhielt, erkundigte sie sich barsch: »Kann ich Euch helfen?« Schnaufend stemmte sie die Hände in die Hüften, wodurch der Schürhaken und das Holz drohend auf Dora gerichtet wurden.
»Sehr freundlich von Euch. Ich möchte frische Luft schöpfen. Ich konnte schlecht schlafen, da wollte ich meine Base nicht wecken und dachte, es ist besser, wenn ich aufstehe und mich draußen ein wenig bewege.«
»Ihr habt Glück, es wird bereits hell.« Die Wirtin nahm die Hände wieder aus den Seiten, musterte Dora jedoch weiterhin argwöhnisch. »Der Nachtwächter wird Euch ziehen lassen. Passt trotzdem gut auf. Für ehrsame Bürgersfrauen ist das eigentlich noch keine Zeit, um allein durch die Straßen zu gehen, insbesondere, wenn ihre Augen so seltsam sind.«
»Macht Euch keine Gedanken, ich komme zurecht.« Dora schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Die Frau nickte stumm und wandte sich wieder um. In der Küche wartete genug Arbeit. Bald schon würden sich die ersten Gäste zur Abreise rüsten und zuvor noch ein kleines Mahl zu sich nehmen wollen. Dora hoffte, dass sie deshalb so schnell keine Zeit fand, Mathilda von ihrem Spaziergang zu berichten.
Als sie auf die Floriansgasse hinaustrat, schlug ihr angenehm frische Luft entgegen. Ein feuchter Frühdunst entstieg dem Pflaster, hüllte sie ein wie dünner Nebelschleier. Nach der abgestandenen Luft in der Gaststube, die den Duft der am Vorabend aufgetischten Speisen unliebsam in Erinnerung gerufen hatte, tat das besonders gut. Der Regen der letzten Tage hatte die staubige Junihitze weggespült. Die Wolken hatten sich allerdings ebenso rasch wieder verzogen, wie sie aufgetaucht waren. In der sternenklaren Nacht hatte es stark abgekühlt, was für Anfang Juli eher ungewöhnlich war. Bald aber würde es von neuem sommerlich warm werden. Das verriet der laue Wind, der durch die Gassen wehte. Dora reckte den Blick zum Himmel. Grauschwarz wölbte er sich über der Stadt, einzelne Sterne sandten noch ein schwaches Funkeln auf die Erde, als wollten sie sich so in den Tag hinüberretten. Das zarte Morgenlicht besaß zwar noch zu wenig Kraft, um die Nacht endgültig niederzuringen, trotzdem aber stand der Ausgang des täglichen Kampfes seit Urzeiten fest. Über den Zinnen des nahen Florianstors leuchtete ein dünner Silberstreifen auf, der sich stetig verbreiterte und der Dunkelheit mehr und mehr die Kraft raubte. Der Nachtwächter schlurfte vorüber, hob nicht einmal mehr die Fackel, um Dora anzuleuchten. Zu müde war er von seinem einsamen Umherziehen durch die schlafende Stadt. Die Wachleute rüsteten sich, um in Kürze die Tore zu öffnen. Ketten rasselten, Piken klirrten gegeneinander.
Dora wandte sich dem Großen Marktplatz zu. Wie schon am Tag zuvor würde sie auch jetzt wieder dem Königsweg bis zum Wawel folgen. Podskis Beschreibung nach musste sie vom Tor beim Königlichen Zeughaus zur Stadt hinausgehen, um die Straße nach Kazimierz zu finden. Ein weiter Weg lag vor ihr. Zügig schritt sie aus und war froh, um diese frühe Stunde kaum einer Menschenseele zu begegnen. Selbst die herumstreunenden Katzen und Hunde machten sich noch rar.
Bald schwirrte Dora von neuem der Kopf vor düsteren Gedanken. Die ganze Nacht über hatte sie wachgelegen und das Für und Wider ihres Vorhabens von allen Seiten abgewogen. Dabei stand ihr Entschluss längst fest. Sie musste Veit und seinen Vater unbedingt zuerst allein sprechen. Weder die Base noch einer der Krakauer Kaufleute durfte dabei sein, wenn sie mit dem alten Singeknecht die mögliche Gefahr für Veit auslotete und ihn zudem nach den entscheidenden Informationen zu Urbans Nürnberger Zeit befragte. Mehr und mehr verfestigte sich in ihr der Gedanke, zwischen dem Unglück in der Junkergasse und den früheren Ereignissen in Nürnberg mochte ein Zusammenhang bestehen. Singeknecht allein konnte ihr helfen, den aufzudecken. War jemand anderer während des Gesprächs zugegen, bestand zum einen die Gefahr, dass Veit sich von neuem in eine kopflose Flucht stürzte und sie zeit seines Lebens für sein größtes Unheil hielt. Zum anderen aber würde auch sein Vater ihr gegenüber das Vertrauen verlieren. Über die rätselhafte Vergangenheit ihres Gemahls würde er ihr dann gewiss keine Auskunft mehr erteilen wollen. Somit wäre ihre ganze Reise
Weitere Kostenlose Bücher