Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
musste sich auf das Naheliegende besinnen. Da Dora im Ratskeller festsaß, war es an ihr zu tun, was die Base eigentlich selbst vorgehabt hatte – den alten Singeknecht bitten, um seines Sohnes und Urbans willen bei Herzog Albrecht in Königsberg vorzusprechen und die Wahrheit über die Vorfälle vor zwanzig Jahren in Nürnberg und vor zwei Jahren in der Junkergasse offenzulegen. Damit würde Veit der Anschuldigung enthoben, das Unglück auf der Baustelle willentlich herbeigeführt zu haben, sowie Urbans Andenken von schlimmen Verdächtigungen befreit. Und Göllner stand endlich als der da, der er wirklich war: ein elender Verleumder, unwürdig, das ehrbare Amt eines herzoglichen Hausvogts zu bekleiden.
Je öfter Mathilda diese Überlegungen in ihrem Kopf wälzte, je sicherer war sie, dass Doras rätselhafte Verhaftung mit alldem in Zusammenhang stand. Wahrscheinlich hatte Göllner von Königsberg aus alle Hebel in Bewegung gesetzt, um an Urbans Aufzeichnungen zu gelangen und Doras Glaubwürdigkeit in den Schmutz zu ziehen. Leider aber hatte er diese Rechnung ohne Mathilda gemacht.
Als sie die Gaststube durchquerte, schüttelte die Wirtin verwundert den Kopf. »Wohin wollt Ihr, gute Frau? Eure Kleidung ist noch ganz nass. Ihr holt Euch den Tod!«
»Macht Euch keine Sorgen«, schüttelte Mathilda sie ab. »So schnell wirft mich nichts um. Falls ich bis Anbruch der Nacht nicht zurück bin, schickt bitte Steinhaus und Podski eine Nachricht, dass ich zu Jan Gottlieb nach Kazimierz gegangen bin. Aber nur, wenn ich bis dahin nicht selbst wieder leibhaftig vor Euch stehe. Habt Ihr verstanden?«
20
N ach dem Regen atmete die Stadt eine erfrischende Luft aus. Mathilda schien es, als hätte der Regen nicht nur den Staub der letzten Wochen, sondern auch die Last der vergangenen Jahre weggewaschen. Leicht fand sie den richtigen Weg nach Kazimierz. Die breite gepflasterte Straße bis zum Tor beim königlichen Zeughaus machte einem Königsweg tatsächlich alle Ehre, auch die Befestigungsmauer selbst war einer königlichen Residenzstadt mehr als würdig. Erstaunlich nah lagen die beiden Stadttore beieinander. Die Schlangen der wartenden Fuhrwerke gingen ineinander über, kaum war zu erkennen, wer hinaus- und wer hereinwollte. Lediglich die Fußgänger hatten es leichter, von den Wachen ein- und ausgelassen zu werden. Das alles erinnerte Mathilda sehr an die drei Städte Königsbergs, die ebenfalls nahtlos ineinander übergingen. Seltsam, dass jede Stadt trotzdem so auf ihre Eigenständigkeit hielt.
Sobald sie die ersten Hausecken in Kazimierz passiert hatte, wusste sie jedoch, dass die Stadt der benachbarten polnischen Residenzstadt bei weitem nicht das Wasser reichen konnte und dass deshalb wohl kaum an ein aufrichtiges Miteinander der Bürgerschaften zu denken war. Daran änderten auch die hoch aufragenden Türme der Katharinen- und Fronleichnamskirche nichts, die die vielgestaltigen Dächer und das bunte Gewirr aus Häusern überschatteten.
Ähnlich wie in Krakau waren auch in Kazimierz die Straßen möglichst gerade ausgerichtet und kreuzten sich rechtwinklig, doch sie waren weitaus enger und nicht alle gepflastert. Oft stand das schlammige Regenwasser noch in tiefen Pfützen mitten auf der Gasse, dazwischen suchten sich allerlei Federvieh wie auch Hunde, Katzen, Ziegen und sogar mehrere Schweine ihre Wege. Die frische Regenluft hatte nur wenig ausrichten können. Längst roch es aus allen Winkeln modrig. Das aber störte niemanden sonderlich. Selbst mitten auf der Straße wurden in all dem Dreck noch Geschäfte gemacht, hockten sich Krämerweiber mit ihren Körben nieder, feilschten Händler mit ihrer Kundschaft.
Die meisten Leute, die Mathilda begegneten, schienen eher Handwerker oder Kleinkrämer zu sein. Selten stieß sie auf gutgekleidete Kaufleute oder reiche Bürgersfrauen, ebenso selten ratterte ein besseres Fuhrwerk vorbei oder ritt jemand auf einem stolzen Pferd umher. Dafür aber wurde bald schon klar, wie sehr das Leben im jüdischen Viertel im Nordosten der Stadt auch die restliche Stadt beeinflusste. In lange schwarze Kaftane gewandete Männer mit einem gelben Stoffring auf der Brust sowie spitzen gelben Hüten auf dem Kopf bestimmten immer häufiger das Bild. Ebenso begegnete Mathilda vielen Frauen mit blaugestreiften Schleiern. Alle wirkten friedlich, was Mathilda nach und nach die Angst vor dem Unbekannten nahm, kannte sie Juden bislang doch lediglich vom Hörensagen. Letztens in Petrikau hatte sie
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