Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
erstmals mehr darüber erfahren, wie sehr sich die polnischen Könige um ihren Schutz bemühten. Steinhaus hatte Dora und ihr davon berichtet, als sie dort mehrere Tage auf wichtige Waren aus Lublin gewartet und sich mit langen Unterhaltungen die Zeit vertrieben hatten. Seither fragte sie sich, warum Albrecht sich seinem Oheim in diesem Punkt nicht anschloss. So, wie es schien, ging von den Juden tatsächlich keine Gefahr aus. Im Gegenteil schienen sie gerade dem Handel der kleinen Leute sehr zu nutzen.
Unter diesen Eindrücken erreichte sie die Josefsgasse und gelangte dank ihres neugierigen Umherschauens schneller an ihr Ende als erwartet. Die Synagoge überraschte sie durch ihre beeindruckende Größe. Kirchtürme suchte sie an ihr jedoch vergebens. Die vier kleinen Ecktürme wollte sie jedoch nicht dafür gelten lassen. Dafür sammelten sich um sie herum noch mehr Spitzhüte. Es schien, als hielten die Männer mitten auf der Straße gelehrte Dispute ab. Urban hätte seine Freude daran gehabt. Mathilda seufzte, wandte sich nach rechts, wo sie das Haus von Baranamis Freund Gottlieb vermutete, und klopfte an die Tür. Es dauerte lange, bis ein Schlurfen hinter der Tür das Auftauchen einer Magd ankündigte. Noch mehr Geduld brauchte Mathilda, bis die Alte ihr Ansinnen verstanden und wieder ins Innere des Hauses verschwunden war, um sie beim Hausherrn anzukündigen. Dafür aber erschien der kurz darauf bereits höchstselbst in der Diele.
»Ihr seid also die verehrte Base von Urban Stöckel.« Lächelnd schüttelte er ihr die Hand und wies einladend die Treppe hinauf. Mathilda zögerte, ihm zu folgen, und schaute den Mann mit dem wirren grauen Haar und dem langen Spitzbart prüfend an. Seine Statur erinnerte sie sehr an den verstorbenen Vetter. Ebenso wie Urban war er schlank und groß gewachsen, hatte ein markantes Gesicht mit wachen, hellen Augen. Den den Juden vorgeschriebenen langen schwarzen Kaftan trug er mit einer ganz besonderen Würde, die sie wiederum an Urban und seine bevorzugte schwarze Tracht erinnerte. Die beiden hätten sich gewiss auf Anhieb gut verstanden. Gebannt, was sie im Obergeschoss an weiteren Übereinstimmungen erwartete, folgte sie ihm die Treppe hinauf.
Gottlieb führte sie in seine Studierstube. Sie war erstaunlich geräumig und an allen Wänden von hohen Regalen umstellt. Durch ein viel zu schmales Fenster zu einer Seitengasse fiel nur wenig Licht herein. Dafür brannten bereits mehrere Kerzen auf einem Stehpult. Das aufgeschlagene Buch sowie ein Tintenfass und mehrere Federn verrieten, dass sie den Hausherrn mitten bei der Arbeit gestört hatte. Trotzdem war er von ausgesuchter Freundlichkeit und bot ihr einen eigenartigen Stuhl zum Sitzen an. Mathilda zögerte von neuem, der Einladung zu folgen. Der Stuhl war eher ein üppig geschwungener, dunkel gebeizter Sessel, dessen Sitzfläche und Rückenlehne aus braunem Leder gearbeitet waren.
»Verzeiht«, entschuldigte sich Gottlieb sogleich mit einem bedauernden Lächeln. »Der italienische Zwerg scheint Euch als Frau nicht sonderlich angemessen als Sitz. Nehmt also diesen Stuhl.«
Beflissen räumte er einige Bücher und einen großen Stapel Papier von einem anderen Stuhl, der nahe bei seinem Pult stand, und rückte ihn Mathilda vor dem Fenster zurecht. Dankbar ließ sie sich darauf nieder. Der lange Weg hatte sie ermüdet. Es tat gut, sich etwas auszuruhen.
»Ihr seid mit meinem verstorbenen Vetter bekannt gewesen?«, fragte sie, nachdem sie einige Schluck von dem Wein getrunken hatte, den Gottlieb ihr gereicht hatte. Es wunderte sie zwar, dass weder der alte noch der junge Veit Singeknecht auftauchten, allerdings gebot die Höflichkeit, sich vorerst nicht ungeduldig zu zeigen.
»Natürlich. Er hat doch einige Jahre an der Krakauer Universität studiert.«
»Daran habe ich gar nicht gedacht.« Wie hatte sie das vergessen können? Auf einmal kam sie sich sehr töricht vor.
»An jene Zeit werdet Ihr Euch wohl kaum viel erinnern können. Damals müsst Ihr noch ein sehr kleines Mädchen gewesen sein«, kam er ihr galant zu Hilfe. »Vermutlich kanntet Ihr Euren Vetter in jenen Jahren lediglich aus Erzählungen. In Eurer Familie wird man sich gewiss oft über seine beeindruckende Klugheit und seinen besonderen Fleiß im Dienst des damaligen Hochmeisters unterhalten haben.«
»Woher wisst Ihr …?«
»Ich kann es mir einfach gut vorstellen. Seinerzeit habe ich die Ehre gehabt, gut mit Urban Stöckel bekannt gewesen zu sein. Oft haben
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