Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
erwähnte, bislang weder die genauen Hintergründe erfahren noch von Götz Steinhaus und den Krakauer Kaufleuten Unterstützung erhalten zu haben, um Dora zu helfen, nickte der hochgewachsene Gelehrte mehrmals bedächtig mit dem Kopf. Sobald sie ihren Bericht beendet hatte, suchte sie jedoch vergebens nach einem ermutigenden Lächeln auf seinem Gesicht.
Mittlerweile waren die Kerzen auf dem Pult weit heruntergebrannt, das Licht vor dem schmalen Fenster war dunstig geworden. Über der Studierstube hing eine seltsame Stille. Mathilda meinte ein leises Seufzen aus den staubigen Bücherregalen zu hören. Das Holz der weit durchgebogenen Bretter ächzte, das gesamte Haus stöhnte unter einer schier unerträglichen Last. Die eben geschilderte Ungerechtigkeit war mit Händen zu greifen. Selbst das über Jahre mühevoll zusammengetragene Wissen aus aller Welt und über alle Welt tat sich schwer damit, die Geschehnisse um Dora und Urban geduldig zu ertragen. Umso merkwürdiger, dass Gottlieb so lange schwieg. Plötzlich zerriss ein seltsamer Laut aus dem Untergeschoss des Hauses die Stille. Mathilda erschrak, Gottlieb aber winkte nur müde ab.
»Die alte Fina«, sagte er leise und erlaubte sich endlich wieder sein wohltuendes Schmunzeln. Das beruhigte Mathilda weitaus mehr als die harmlose Erklärung. »Eure Geschichte überrascht mich wenig«, hob er nach einer weiteren qualvoll langen Pause an. »Zwar scheint das, was Göllner einst aus des Herzogs Nähe vertrieben hat und wohl die entscheidende Ursache seines Zorns auf Urban und wahrscheinlich auch den alten Singeknecht darstellt, lange nach der Krakauer Zeit zu liegen, stieß er doch viel später erst zu diesem Kreis, dennoch kenne ich ihn ebenfalls aus den Nürnberger Jahren des Herzogs. Damals weilte ich öfters an der Pegnitz und habe aus nächster Nähe so manches erlebt, was meinen Entschluss gefestigt hat, diesem Mann zeit meines Lebens besser aus dem Weg zu gehen. Nun aber scheint es anders gekommen als erwartet. Machen wir das Beste daraus.« Er hielt inne, strich sich über den Bart, sah zum Fenster hinaus. Hinter den Scheiben sammelte sich ein müdes graues Licht. »Wahrscheinlich ist es wirklich so, dass Göllner sowohl hinter der unsäglichen Verhaftung der ehrwürdigen Stöckelin wie auch hinter dem furchtbaren Unfalltod Urbans steckt. Es wäre so ganz nach seiner Art, den jungen Singeknecht für seine Händel mit dem alten büßen zu lassen.« Er trat zu seinem Pult, ordnete bedächtig das Schreibzeug, richtete einige Bogen Papier aus. »Mich stimmt allerdings traurig, dass mein guter Freund Feliks Baranami wie auch seine ehrwürdigen Zunftgenossen so kläglich versagen. Andererseits kann ich mir gut denken, warum. Sie fürchten, in etwas verstrickt zu werden, was ihnen langfristig sehr schaden kann. Göllner ist mächtig. Wenn es ihm mittels eines Briefes aus dem fernen Königsberg gelungen ist, den Krakauer Gerichtsvogt zur Verhaftung Eurer Base zu bewegen, so besitzt er hier an der Weichsel nicht nur auf dem Wawel, sondern auch in der Stadt beste Beziehungen. Bedenkt, er hat das gerade nicht über den Königshof abgewickelt, was dank der verwandtschaftlichen Verflechtungen zwischen dem preußischen Herzog und dem König ein Leichtes gewesen wäre. Nein, Göllner hat den städtischen Gerichtsvogt bemüht, und das lässt tief blicken, wie weit seine Macht hier an der Weichsel reicht.«
Über seinen Worten sank Mathilda auf dem Stuhl immer mehr in sich zusammen. Ihr war, als gäbe es keine Hoffnung mehr für Dora. Dann aber horchte sie auf. Gottlieb hatte seine Stimme erhoben. Als sie ihn anschaute, streckte er den langen, schmalen Zeigefinger in die Luft und lächelte sie endlich wieder aufmunternd an.
»Trotzdem gibt es keinen Grund zu verzweifeln. So aussichtslos die Sache scheinen mag, findet sich doch immer irgendwo ein Licht. Mag es uns im ersten Moment viel zu schwach sein, so sollten wir stets darauf vertrauen, dass es größer werden und bald ausreichend Kraft ausstrahlen kann, um uns den Weg aus dem Dunkel zu weisen. Wir müssen nur darauf vertrauen und unsere Zweifel besiegen.«
»Was meint Ihr damit?« Ratlos sah sie ihn an.
»Geht zurück in Euer Gasthaus. Die Aufzeichnungen Eures Vetters aber lasst bitte bei mir. Ihr tragt sie doch bei Euch?«
Prüfend schaute er sie an. Sie fühlte die Röte in ihren Wangen, senkte verlegen den Blick. Ihre Finger zitterten, als sie in den Taschen ihrer Schaube nach den beiden schmalen Bänden suchte und
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