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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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fensterlosen Raum tief unter dem Großen Marktplatz fiel es schwer, den Wechsel der Zeiten wie auch das Vergehen der Tage richtig einzuschätzen. Es gab keinerlei festen Rhythmus. Selbst die schimmeligen Brotrationen und das faul riechende Wasser wurde den Gefangenen nur äußerst unregelmäßig und in viel zu geringen Mengen gereicht. Doras Mitgefangene wechselten zwar häufig, aber ebenso wenig in einem genauer zu bestimmenden Zeitablauf. Strauchdiebe folgten auf Huren, Falschspieler auf gemeine Scharlatane, Bettler auf zwielichtige Betrüger. Einmal wurde sogar für kurze Zeit ein Mörder in das Verlies geworfen. Unter lautem Geschrei wurde er wenig später wieder abgeholt und zum Henker gebracht.
    Zu ihrem Entsetzen ertappte sich Dora mehr als einmal dabei, neidisch auf die armseligen Kreaturen zu werden, die mit einem harschen Tritt in den Hintern von den Bütteln in das schmutzige Loch gestoßen wurden, um einen oder höchstens zwei geschätzte Tage später vor den Gerichtsvogt und den Henker zitiert zu werden. Sie wussten wenigstens, was man ihnen vorwarf und mit welcher Strafe sie zu rechnen hatten. Selbst das grausamste Urteil schien ihr inzwischen allemal besser als die quälende Ungewissheit, was mit ihr geschehen würde, falls überhaupt jemals noch etwas mit ihr geschehen sollte.
    So ruhig wie möglich kauerte sie auf ihrem Platz an der Wand, kaute an den Fingernägeln, knetete die steif gewordenen Gelenke durch oder fuhr sich durch das strähnig gewordene Haar. Die Bundhaube hatte sie auf dem Weg in den Keller verloren, die Haarnadeln ebenso. Offen fiel das dunkelblonde Haar seither auf ihre Schultern, bot Flöhen und Läusen eine willkommene Brutstätte, wie das ständige Jucken bewies. Hin und wieder klopfte sie sich die Kleider aus, um wenigstens den gröbsten Schmutz loszuwerden. Der Rock aus dunkelrotem Grobgrün und der gleichfarbige Goller starrten allerdings schon so sehr vor Dreck, dass das nur noch wenig nutzte.
    Müde streifte ihr Blick umher. Trotz der bedrückenden Enge in der Zelle, die in der Länge eine knappe und in der Breite höchstens eine halbe Rute maß, hielten die etwa ein Dutzend Insassen respektvollen Abstand zu ihr. Sie führte es darauf zurück, dass die anderen selbst ohne große Verständigung untereinander ahnten, wie lange sie schon einsaß. Das flößte ihnen eine gewisse Ehrfurcht ein. Niemand kam ihr zu nahe oder unternahm gar einen Versuch, sie der wenigen Habseligkeiten an ihrem Gürtel zu berauben.
    Im unruhigen Schein der Fackel, die im Gang vor der Zelle in einer gusseisernen Halterung steckte, musterte sie die gebeugten Gestalten. Niemand sprach mit dem anderen, jeder stierte ziellos vor sich hin, harrte der unausweichlichen Dinge, die auf ihn zukommen mochten. Gerade waren es mehr Frauen als Männer, die meisten waren eher jung und noch einigermaßen ansehnlich. Das deutete sie als möglichen Hinweis auf den Wochenanfang und die damit beginnenden Markttage. Je mehr fremde Kaufleute und Reisende in die Stadt kamen, je mehr Frauen verdingten sich innerhalb der Stadtmauern als Huren, bis die Büttel sie aufgriffen und für ein oder zwei Tage in den Kerker warfen. Das mochte in Krakau nicht anders sein als in den drei Königsberger oder anderen Städten Preußens oder Polens. Dora lehnte den Kopf gegen die rauhe Wand, spürte, wie sich ein vorspringender Stein in die Schädelhaut bohrte. Trotz der Düsternis meinte sie das ein oder andere Gesicht der Neuankömmlinge wiederzuerkennen. Gelegentlich landete eine der Frauen zum wiederholten Mal im Keller, wie sich an ihrer Haltung und an der Kenntnis der Gepflogenheiten im Gefängnis ablesen ließ.
    Doras Blick wanderte weiter. Die Wände aus grob behauenen Bruchsteinen waren etwa zwei Klafter hoch. An der Stirnseite, der schmiedeeisernen Gittertür zum Gang der Wachhabenden gegenüber, befand sich in etwas mehr als einem Klafter Höhe eine kleine Öffnung, durch die ein schwacher Lufthauch wehte. Auf ihrem Platz nahe vor dem Gitter spürte Dora ihn deutlich auf der Haut. Das bescherte ihr eine geringfügige Linderung des Gestanks.
    Abermals schloss sie die Lider, träumte sich in eine andere Zeit an einen anderen Ort, hatte plötzlich Urban vor Augen, wie er sie vergnügt im Wald der tanzenden Bäume umhergewirbelt hatte. Wie lang schon hatte sie daran nicht mehr gedacht? Nie war ihre Liebe inniger gewesen, nie losgelöster von allen Beschwernissen des irdischen Seins als in jenen Stunden. Geradezu verzückt von Liebe

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