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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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war ihr Urban damals erschienen, fähig zu jeglicher nur denkbaren Leidenschaft. Kaum aber entsann sie sich dieser kostbaren Augenblicke, trat ihr eine weitere Szene vor Augen, erschreckenderweise fast genau aus derselben Zeit wie jenes bis dato höchste Glück mit Urban – der Überfall auf ihre Reisegruppe und wie Urban die Räuber kalt lächelnd mit den falschen Papieren hinters Licht geführt hatte. Ein Schatten breitete sich über die eben noch als so wundervoll empfundene Erinnerung. Wie eigenartig sich Urban damals gebärdet hatte, gerade so, als hätte er mit dem Überfall an jener Stelle gerechnet. Warum sonst hatte er sie erst von den anderen weggeführt und war dann zielsicher allein zu den Überfallenen zurückgekehrt? Sogar das Päckchen mit den falschen Papieren hatte vorbereitet gewirkt. Das Auffälligste aber schien ihr im Rückblick, dass er von vornherein darauf verzichtet hatte, die Räuber zu verfolgen oder sie später zur Rechenschaft zu ziehen, überhaupt nie Anstrengungen unternommen hatte, den Vorfall aufzuklären und sie ausfindig zu machen.
    »Dora Stöckelin!« Eine schroffe Stimme riss sie in die düstere Wirklichkeit des Krakauer Gefängnisses zurück. Sie schreckte zusammen. Über ihrer Grübelei hatte sie das Geschehen um sich herum völlig ausgeblendet. Längst beugte sich der Büttel über sie, griff ihr unsanft unter die Arme und riss sie hoch. Sein Atem roch bitter, sein Körper stank nach Schweiß und Unrat, als hätte er selbst die letzten Wochen gefangen im Verlies verbracht. Angewidert hielt sie die Luft an, torkelte benommen hinaus.
    Trotz aller Beschwernis kamen ihr die ersten Schritte außerhalb des Verlieses wie ein gnädiges Geschenk vor. Der Büttel führte sie den engen Gang entlang, wenig darauf achtend, ob sie die Füße richtig aufsetzen und selbst gehen konnte oder viel eher von ihm mitgeschleift wurde. Nach unendlich vielen Ecken und Wendungen erreichte sie eine ausgetretene Treppe. Längst hatte sie jedes Gefühl für Raum und Entfernung verloren. Die Treppe zu sehen aber versprach einen unverhofften Aufstieg.
    Der Wachmann stieß sie die ausgetretenen Stufen empor, bis sie oben von einem zweiten Büttel ebenso unsanft in Empfang genommen wurde. Der Gang weitete sich, der Lehmboden wurde ebener, die Wände glatter. Selbst die Fackeln brannten in Halterungen, die in immer kürzeren Abständen an den Wänden befestigt waren, bis sie zu einer weiteren Treppe gelangten. Die war ganz aus glatten Granitstufen gefertigt. Das verhieß die Auffahrt aus der Hölle.
    Das ersehnte Paradies öffnete sich Dora kurz darauf in einem wahren Überfluss an Licht. Ihre Freude darüber war derart groß, dass sie den unsanften Tritt in den Hintern kaum wahrnahm, mit dem sie vom Büttel mitten in den goldenen Strom befördert wurde. Unsanft landete sie auf einem harten Fliesenboden, rappelte sich wieder auf, um dann, geblendet von der Helligkeit, schleunigst die Augen zusammenkneifen zu müssen. Dennoch spürte sie beglückt dem nachklingenden roten Leuchten auf den geschlossenen Lidern nach. Bang wartete sie, was als Nächstes geschehen würde. Als sich nichts tat, bestand für sie kein Zweifel, sie war der finsteren Hölle im Ratskeller entronnen! Erleichtert atmete sie auf, öffnete vorsichtig die Augen, gewöhnte sich an das Tageslicht, schaute sich um.
    Das Paradies entpuppte sich als öder, karger Raum mit grob getünchten Wänden, einem doppelflügeligen Fenster an der einen, einer schlicht gezimmerten Holzbank an der anderen Längsseite. Auf der Stirnseite hingegen befand sich ein langer Tisch mit einem hoch aufragenden Lehnstuhl in der Mitte. Trotz der gewaltigen Macht, die dem bloßen Anblick des leeren Möbels innewohnte, überschwemmte Dora plötzlich Hoffnung. Verhieß nicht schon allein das Erreichen dieses Raums, der offensichtlich dem Gerichthalten diente, die Erlösung aus dem qualvollen Warten im höllischen Kellerverlies? Sie wollte zum Fenster stürzen, sich des Lebens außerhalb des Ratskellers vergewissern. »Stój!«, brüllte der Büttel und riss sie an den Haaren zurück. Den sehnsüchtigen Blick ins Freie konnte er dennoch nicht verhindern.
    Es musste gegen Mittag sein. Der graue Regen hatte sich verzogen. Milchig mildes Sommerlicht staute sich hinter den von Bleiruten gitterartig durchzogenen Scheiben. Kaum zu glauben, dass dort draußen das Leben wie gewohnt weiterging, niemand ahnte, was den Menschen drinnen im Rathaus widerfuhr. Nur wenige Schritte entfernt

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