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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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der sommerlichen Dunstglocke verstärkten sich die Ausdünstungen von Mensch und Tier und bildeten mit den üblichen Gerüchen von fettigen Garküchen und rußigen Herdfeuern ein wahrhaft atemberaubendes Gemisch. Wie die meisten mied Mathilda deshalb seit Tagen jeden unnötigen Gang nach draußen, hielt sich am liebsten in den kühlen Erdgeschossräumen von Jan Gottliebs Anwesen in der Josefsgasse in Kazimierz auf. An diesem Tag aber hatte sie schon im frühen Morgengrauen eine seltsame Unruhe erfasst. Als sie wenige Schritte entfernt Polyphemus im vormittäglichen Trubel der Straßen entdeckte, war sie überzeugt, deren Ursache gefunden zu haben. Es hatte sich gelohnt, auf die innere Stimme zu hören und Gottliebs Empfehlung zum Trotz nach Krakau zu gehen.
    »Wie kommt Ihr hierher?«, sprach sie den Königsberger Hofbibliothekar an, kaum dass sie sich unter lebhaftem Protest durch den Kreis der Menschen ganz nach vorn zu ihm gedrängt hatte. Bei genauerem Hinsehen erklärte schon der Zustand seiner Kleidung, wie es zu dem Aufruhr gekommen sein musste. Sein ohnehin recht fleckiger Rock war staubbedeckt, seine bereits reichlich gestopften Strumpfhosen an den Knien völlig aufgerissen. Ebenso lugte aus der Spitze seiner abgetragenen Kuhmaulschuhe ein alles andere als sauber zu bezeichnender Zeh neugierig heraus. Er musste auf das unebene Straßenpflaster gestürzt sein, denn seine Hände waren blutig aufgeschürft, sein wulstiges, bartloses Kinn wie auch die blaurote Knollennase stellenweise aufgekratzt. Besorgt setzte sie nach: »Was ist Euch zugestoßen?«
    »Halb so schlimm«, winkte er ab. Seine hellen Augen strahlten unter dem löchrigen Hut hervor. Um seinen Mund spielte ein überlegenes Lächeln. »Den Lump, mit dem ich zusammengeprallt bin, hat es weitaus schlimmer erwischt. Kein Wunder! So eine halbe Portion wie der hat mir einfach nichts entgegenzusetzen. Das hat er halt davon, wenn er so kopflos aus dem Hof rennt, erst recht, wenn der Spitzbub sich zuvor so töricht als Dieb versucht. Jetzt hat er statt dem Huhn im Topf den Spott der Leute am Kopf.«
    Wieder erntete er mit seiner Schilderung bei den Umstehenden großes Gelächter. Stolz sonnte er sich darin, schob den dicken Bauch noch ein wenig mehr heraus und schaute Mathilda erwartungsvoll von unten herauf an.
    Im gnadenlosen Sommerlicht wirkte der Bibliothekar noch zerfledderter als sonst. Sie runzelte die Stirn. Sosehr sie Polyphemus’ Frau, Katharina König, schätzte, so wenig mochte sie den aufgeblasenen Gockel leiden. Er war und blieb ein Schwätzer, der überall, wo er auftauchte, nur unnötigen Wirbel verursachte. So also auch jetzt in Krakau.
    »Lasst uns gehen«, schlug sie vor. »Wir sollten dafür sorgen, dass Ihr Eure Kleidung in Ordnung bringen und Euch Gesicht und Hände waschen könnt. Auf den Schreck hin habt Ihr sicher Durst.«
    »Gegen eine Erfrischung hätte ich wirklich nichts einzuwenden, meine Liebe«, erwiderte er weiterhin gutgelaunt. »Allerdings muss ich erst noch auf den Büttel warten, der diesen räudigen Strolch in den Kerker werfen soll. Immerhin habe ich verhindert, dass er mit seiner Beute einfach abhauen konnte.«
    Verächtlich wies er mit dem Kinn zu Boden. Da erst entdeckte Mathilda das zusammengerollte Bündel Mensch. Es handelte sich eher um ein Kind denn um einen ausgewachsenen Übeltäter. Völlig verängstigt hatte es sich zu Füßen einer recht beleibten Frau zusammengerollt, die Hände schützend über den Kopf gezogen, am Leib heftig zitternd. Offenbar ahnte es, welche Strafe ihm drohte. Die dürren Arme und Beine, von denen nur wenig zu erkennen war, bewiesen Mathilda ebenso wie der schmächtige Körper, wie hart es eine Tracht Prügel treffen würde. Von einem Huhn, das es gestohlen haben sollte, war ohnehin weit und breit nicht einmal eine einzige gerupfte Feder zu entdecken. Plötzlich kam Mathilda eine gute Idee.
    »Da habt Ihr wahrlich eine große Heldentat vollbracht«, erklärte sie und konnte ihre Verachtung kaum mehr unterdrücken. »Allerdings solltet Ihr es Euch überlegen, ob Ihr so gut daran tut, den kleinen Lumpen dem Büttel zu übergeben. So, wie der Erzbube aussieht, hat er durch den Zusammenprall mit Euch schon mehr als genug Strafe erfahren. Ich glaube kaum, dass er es so schnell noch einmal wagen wird, die Finger nach dem Hab und Gut seiner Mitmenschen auszustrecken.«
    Ihre Worte verblüfften Polyphemus. Ungläubig starrte er sie an. »Gute Frau, was soll ich davon halten? Ihr seid doch

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