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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Mathilda mitten in ihre Gedanken, »viel zu lang habe ich meine eigene innere Stimme überhört. Als ich gegen den Willen meiner Familie aus Nürnberg fort bin, habe ich ihr für lange Zeit zum letzten Mal Beachtung geschenkt. Dann aber wollte ich nicht wahrhaben, dass sie mir nicht den schmucken Vetter Urban, sondern einen ganz anderen Mann ans Herz legen wollte. Lange habe ich das überhört, bin gegenüber allen gutgemeinten Ratschlägen taub gewesen. Richtig verbohrt war ich in meiner Vorstellung, allein Urban wäre der Richtige für mich, und Ihr hättet ihn mir weggenommen. Darüber hätte ich fast mein restliches Leben auf dem völlig falschen Weg zugebracht. Gerade noch rechtzeitig sind mir letztens die Augen aufgegangen.«
    Sie brach ab, hob den Blick von neuem zum Himmel. Derselbe schwärmerische Ausdruck, der vorhin schon einmal ihr ebenmäßiges Gesicht verschönert hatte, machte sich wieder darauf breit. Dora hielt den Atem an. Es rührte sie, diesen Wandel der Base miterleben zu dürfen.
    »Ich danke Euch, dass Ihr mich ins Vertrauen gezogen habt«, sagte sie leise.
    »Jetzt wird sich alles zum Guten wenden.«
    »Ja, jetzt bestimmt.«
    Noch einmal umarmten sie einander, dann bedeutete ihnen der Wachmann, dass es Zeit sei, sich voneinander zu verabschieden.
    Zurück in der Einsamkeit ihrer Dachkammer, zehrte Dora noch lange von der Erinnerung an Mathildas Besuch. Sie lehnte am offenen Fenster, den Blick auf den schmalen Ausschnitt Himmel oberhalb der Schlossmauer gerichtet. Die Nacht verabschiedete den Tag mit einer beiläufigen Leichtigkeit. Langsam wechselte das sommerabendliche Rotgelb in ein zartes Blaurot, das in einem immer dunkler werdenden Blaugrau aufging, bis daraus schließlich ein Schwarzgrau wurde. Gebannt beobachtete Dora das Schauspiel, in Gedanken ganz bei Mathilda. Wie verändert die Base auf einmal war. Etwas sehr Entscheidendes musste ihr geschehen sein, um diesen Wandel einzuläuten. Dora brannte darauf, eines Tages mehr davon zu erfahren. Falls sie diesen fernen Tag tatsächlich noch erleben sollte. Sie zwang sich, das Vertrauen zu bewahren, dass sich alles zum Guten wendete. Gedankenverloren glitten ihre Hände zu Renatas Phiole. Sie entkorkte sie und träufelte sich einen Tropfen Öl auf die Innenfläche der linken Hand. Die zauberhafte Frauengestalt fand rasch ihre Konturen in den Linien der Handinnenfläche. Je länger Dora sie betrachtete, umso sichtbarer wurde die Ähnlichkeit mit Mathilda. Behutsam schloss Dora ihre Hand, ballte sie zur Faust und hob sie vor den Mund. Den Blick starr auf das Nachtschwarz des Himmels, erfüllte sie die Gewissheit, dass alles gut würde. Die Liebe ebnete den Weg, darauf musste sie vertrauen.
    7
    Z uerst meinte Mathilda, sie wäre einer Sinnestäuschung aufgesessen. Beim besten Willen konnte der gedrungene Mann in dem zerschlissenen Rock und dem breitkrempigen Hut dort vorn an der Ecke zur Dominikanergasse nicht Polyphemus sein. Der herzogliche Hofbibliothekar befand sich Hunderte von Meilen entfernt im Westen, durchwühlte auf der Suche nach besonderen Schätzen in Leipzig die Stände und Buden der Drucker. Wie sollte er zeitgleich in der Krakauer Grodzka auftauchen? Dann aber hörte sie die Stimme des Mannes, beobachtete eine Weile die Art, wie er den Menschen, die ihn umringten, mit weit ausholenden Armbewegungen aufgeregt etwas erklärte. Fast konnte sie es sich sparen, näher auf ihn zuzugehen. Deutlich hatte sie bereits den Ausdruck auf seinem Gesicht vor Augen, mit dem er die Wirkung seiner Worte unterstrich. In den langen Stunden unter der engen Wagenplane auf der Reise von Königsberg nach Thorn hatte sie Zeit genug gehabt, um sein Gebaren ausreichend zu studieren.
    Sie blieb stehen, überlegte, ob sie auf ihn zugehen sollte oder nicht. Der Kreis der Menschen um ihn wuchs stetig. Offenbar war etwas geschehen, was immer noch weitere Neugierige anlockte. Polyphemus’ lebhafte Art, das Vorgefallene zu erklären, schien die Leute sehr zu belustigen. Immer wieder erntete er beifälliges Gelächter, schließlich sogar begeistertes Klatschen. Eine Weile beobachtete Mathilda das Geschehen von ihrem schattigen Platz an der Straßenecke. Ein angenehmer Lufthauch wehte von Osten her durch die Dominikanergasse und verschaffte ihr wohltuende Erfrischung. Seit Tagen hing die Augusthitze in den engen Straßen Krakaus, hatte lang schon die Erinnerung an den regenreichen Juli verdrängt. Dick lag der Staub auf dem Pflaster, stickig war die Luft. Unter

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