Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Kindern gegenüber anzunehmen pflegen. Was denkt Ihr, wie schlimm es für mich war, als mein Vater eines Tages berichtete, ausgerechnet die Schwester des Wirts aus der Schenke am Frauentor hätte das Herz meines stolzen Vetters erobert! Am liebsten wäre ich dorthin gestürmt und hätte der Frau eigenhändig die Augen ausgekratzt. Mit einem Schlag aber waren sowohl mein Vetter wie auch die junge Frau und noch einige andere junge Herren, die kurz zuvor noch die Straßen der Stadt mit ihren prächtigen Gewändern und die Häuser der Bürger mit ihren klugen Unterhaltungen geziert hatten, aus Nürnberg verschwunden. Es hieß, die Herren wären in jenes ferne Land im äußersten Nordosten zurückgekehrt, wo sie mit Luthers geistigem und Zygmunts weltlichem Beistand ein stolzes Herzogtum aufbauen würden. Zuerst dachte ich, mein Vetter hätte die Frau geheiratet, dann aber erfuhr ich, dass sie noch im Kindbett gestorben war. Damals beschloss ich, so schnell wie möglich meinem Vetter nachzureisen und ihm für den Rest meines Lebens aufopferungsvoll zur Seite zu stehen. Dass meine Familie deswegen mit mir brach und ich mir auf ewig den Zorn meines Vaters zuzog, habe ich nie bereut. Nicht einmal, als Urban zwar einerseits erfreut über mein Auftauchen in Königsberg war, sich andererseits aber nie dazu entschließen konnte, mich zu heiraten. Erst als Ihr dann als seine Frau ins Haus kamt und zwei Jahre später mit Eurer Schwägerin Gret noch jemand anderer auftauchte, der wie schon Ihr jener Frau in Nürnberg zum Verwechseln ähnlich sah, sind mir erhebliche Zweifel an der Lauterkeit seiner Gefühle gekommen.«
Sie senkte den Blick. Nun war es an Dora, die Hand nach der Base auszustrecken. Mehr wagte sie nicht, doch auch diese kleine Geste zauberte ein dankbares Lächeln auf Mathildas Antlitz. Als sie den Kopf wieder hob, stellte Dora erstaunt fest, dass ihre Wangen feucht glänzten. Nie zuvor hatte sie die Base weinen sehen, selbst an Urbans Sterbebett nicht.
»Wie aber muss es Euch erst ergangen sein, als Ihr das erkannt habt? Noch dazu, wo jene Frau mit dem honiggoldenen Haar zugleich Eure Schwägerin ist. Selbst Euer Bruder hat also das Abbild seiner heimlichen …«
»Genug!« Die Worte trafen Dora mitten ins Herz. Oft schon selbst geahnt, aber nie zu Ende gedacht, war es umso schlimmer, die Wahrheit über Jörg aus Mathildas Mund zu hören. Um Fassung ringend, wandte sie sich ab. »Warum tut Ihr das?«, fragte sie nach einer Weile und fügte, als die Base die Antwort schuldig blieb, hinzu: »Warum tut Ihr das alles für mich, wenn Ihr mich doch nach wie vor hasst, weil ich Euch Urban genommen habe?«
»Aber Ihr habt ihn mir doch gar nicht genommen!«, fuhr Mathilda auf, reckte das Kinn, spitzte den Mund. In ihren grünen Augen funkelte es vor Vergnügen. »Habt Ihr denn noch immer nicht begriffen, dass nicht Ihr Urbans Herz erobert habt, sondern nur die Erinnerung, die er in Euch zu sehen meinte? Die Erinnerung an jene lang verlorene, allein seligmachende große Liebe, der er in jungen Jahren in Nürnberg …«
»Hört endlich auf!« Dora presste sich die Hände auf die Ohren.
»Dora, Liebes!« Erneut legte Mathilda ihr den Arm um die Schultern, drückte sie zärtlich und hauchte ihr gar einen scheuen Kuss auf die Wangen. »Seid dankbar, dass es so um ihn und seine Liebe zu Euch bestellt war. Sehr gute Jahre habt Ihr gehabt, ein entzückendes kleines Mädchen miteinander gezeugt. Nun aber, da die Wahrheit endlich feststeht, eröffnet das auch Euch ein neues Leben. Denn auch Ihr habt in den letzten Monaten weniger Urban selbst als ein Abbild eines ganz anderen in der Liebe zu ihm geliebt. Gesteht Euch das ein und seid offen für das, was weiter geschehen wird.«
»Wozu? Das Einzige, für das ich angesichts meiner derzeitigen Lage noch offen sein muss, ist, entweder auf dem Wawel oder auf dem Krakauer Marktplatz als Hexe verbrannt zu werden.«
»Weder das eine noch das andere wird geschehen. Das wisst Ihr. Vertraut auf Eure innere Stimme, denkt fest daran, dass sie Euch den rechten Weg weisen wird. Ihr müsst nur bereit sein, auf sie zu hören.«
»Wie kommt Ihr darauf?« Verwundert starrte Dora Mathilda an. Die Worte erinnerten sie an Renata. Ähnliches hatte sie ihr geraten, als sie ihr vor einigen Monaten die Phiole mit dem blauen Öl der Schafgarbe anvertraut hatte. Die Base schmunzelte. Konnte es sein, dass die beiden Frauen weitaus mehr gemein hatten, als ihnen lieb war?
»Wisst Ihr«, meldete sich
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