Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Unterlagen ergänzen«, erklärte Polyphemus. »Damals hat er als Rechtsgelehrter Albrecht beratend zur Seite gestanden und deshalb so manche Verhandlung in seinem Auftrag geführt. Was genau das bedeutet, werden die Unterlagen zeigen.«
»Wollen wir hoffen, sie treffen noch rechtzeitig ein, und Gottlieb erhält damit Audienz beim König. Dann bleibt nur noch, den König auch davon zu überzeugen, dass ich keine Hexe bin.«
Kaum hatte Dora das angemerkt, tauchte ein pikenbewehrter Wachmann auf. Sofort schreckten die beiden anderen Wachleute auf. Bislang hatten sie die Gelegenheit genutzt und sich während des Gesprächs von Dora und ihrem Besuch im Schatten einer Linde ausgeruht. Schließlich wussten sie, dass Dora nicht fliehen würde. Ein drohender Blick des heraneilenden Pikeniers genügte, und sie stellten sich sofort dicht um Dora in Positur.
»Mitkommen!«, raunzte der fremde Wachmann Dora an und schob die anderen beiden schroff beiseite.
»Wohin?«, wagte sie zu fragen und, als er nicht antwortete, Mathilda und Polyphemus aufgeregt zuzurufen: »Geht schnell zu Gottlieb und fragt ihn nach den Papieren. Ruft Baranami. Ich glaube, meine Stunde ist gekommen.«
11
A ls Dora den obersten Treppenabsatz im Königsschloss erreicht hatte, zwang der Wachmann sie mit einem kräftigen Stoß von hinten zur Tür auf der linken Seite. Kein gutes Zeichen! Bei ihrem letzten Besuch hatte die Königin sie in den Gemächern auf der rechten Seite empfangen, Göllner und Wierzynek aber waren zur Unterredung mit dem König nach links verschwunden. Auf dieser Seite mussten also Zygmunt und sein mitregierender Sohn Zygmunt August Hof halten.
»Dalej!«, knurrte der Wachmann, um sogleich auf Deutsch nachzusetzen: »Vorwärts!« Wieder ging es zunächst durch zwei Vorsäle, die spärlich eingerichtet, deren Wände aber von imposanten Tapisserien mit Jagdszenen beherrscht waren. Im Vorbeihasten erspähte Dora einen Löwen mit eindrucksvoller Goldmähne, der seine Zähne gefährlich fletschte, wovon sich eine Reihe gutgekleideter, auf Audienz wartender Bürger in ihren Unterhaltungen nicht stören ließen. Erst als Dora so offensichtlich an ihnen vorbeigeführt wurde, ohne dass der Wachmann die Rangfolge der Wartenden auch nur im Entferntesten würdigte, erhob sich ein Raunen. Im zweiten Saal blieb der Wachmann vor einer doppelflügeligen Tür stehen, pochte energisch gegen das Holz. Sogleich wurde geöffnet.
Bangen Herzens betrat Dora den Saal und blieb gleich auf der Schwelle entsetzt stehen. Hunderte von Augenpaaren starrten ihr entgegen! Unwillkürlich wollte sie sich wegdrehen, der Wachmann schubste sie jedoch unerbittlich in den Saal hinein. Die Augenpaare folgten jedem einzelnen ihrer Schritte. Vorsichtig spähte sie umher, bis ihr erleichtert auffiel, einer Täuschung aufgesessen zu sein. Die Augen gehörten zu Hunderten geschnitzter Köpfe entlang der Kassettendecke aus dunklem Holz. Sie waren so lebensecht, dass es tatsächlich wirkte, als stierten Menschen aus luftiger Höhe auf die Besucher des Thronsaales herab.
Fast vergaß Dora darüber, wo sie sich befand – im Audienzsaal des polnischen Königs. Tatsächlich erblickte sie den alten Zygmunt und den jungen Zygmunt August am Kopfende des Saales. Der junge König war etwa Mitte zwanzig, also ziemlich genau in Jörgs und Veits Alter. Sein länglicher Kopf mit der hohen Stirn und dem spärlichen dunklen Haupthaar, das er mit einem schlichten schwarzen Barett bedeckte, war ebenso auffällig wie auch die schmale, große Nase und die riesigen Ohren. Um davon abzulenken, trug er den Kinnbart sorgfältig in zwei zylinderförmige Spitzen geteilt. Unter einem schwarzen Überwurf blitzte ein modischer, von Goldfäden reich durchwirkter Faltrock auf, der seine kräftige Statur in bestes Licht rückte. Allerdings neigte er zu langen, dünnen Storchenbeinen, die viel zu schwach für diese Last schienen. Tiefrote Strumpfhosen aus feinster Wolle versuchten ihnen zumindest einen Anflug von königlicher Würde zu verleihen. Er hielt sich leicht nach vorn gebeugt, so dass seine wahre Größe schwer einzuschätzen war. Hinter halb vorgehaltener Hand sprach er auf seinen in einem bequemen Ledersessel thronenden Vater ein. Zygmunt war deutlich von seinem hohen Alter gezeichnet. Dennoch war die Ähnlichkeit zwischen beiden unverkennbar, wenn auch Zygmunts Kopf auf dem von einem weiten roten Mantel umhüllten Leib winzig wirkte. Das mochte von der mächtigen schwarzen Pelzmütze rühren,
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