Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
den riesigen Schatten, den der Wachmann über ihr warf. Geblendet vom grellen Sonnenlicht, blinzelte sie und ließ die Näharbeit wieder in den Schoß sinken. »Besuch.«
Mit dem Kopf deutete er über seine Schulter nach hinten. Dora erspähte im Schatten der nahen Linde Mathildas hochgeschossene, schlanke Gestalt sowie einen gedrungenen Mann in nachlässiger Kleidung.
»Polyphemus!« Sie sprang so rasch auf, dass das Weißzeug zu Boden fiel. Seufzend bückte sich die Alte und hob es aus dem Dreck. Dora schämte sich. Hastig beeilte sie sich, der Frau beim Ausklopfen des Staubs behilflich zu sein. Kaum wagte sie, ihr ins Gesicht zu sehen. »Verzeiht! Schon wieder habe ich nicht aufgepasst.«
Die Alte hob nicht einmal mehr den Blick. Kopfschüttelnd raffte sie das Nähzeug auf der Bank zusammen, packte auch den Stapel Wäsche, der noch zum Flicken auf einem Schemel bereitlag, und watschelte zur Haustür. Ohne Dora eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwand sie nach drinnen.
»Was ist jetzt?« Der Wachmann rüttelte sie am Arm. Schweren Herzens folgte Dora ihm und seinem Gefährten zu den Besuchern.
Nah bei dem kleinen Brunnen, der die Mitte der Häuseransammlung vor der alten Burgkapelle zierte, durfte sie sich mit der Base und dem Bibliothekar unterhalten, während die beiden Wachleute sich an den Stamm der Linde lehnten und sie von dort aus träge beobachteten.
»Wie schön, Euch wiederzusehen, Stöckelin.« Der rundliche Bibliothekar gab sich alle Mühe, ihrem Zusammentreffen auf dem gut bewachten Vorhof des Wawel den Anstrich von Alltäglichkeit zu geben.
»Wie kommt Ihr hierher? Was ist mit der Messe in Leipzig und Eurer Reise nach Nürnberg?« Erstaunt schaute Dora ihn an. Seit ihrer letzten Begegnung in Thorn hatte er sich nur wenig verändert. Sein Rock war allenfalls noch etwas schmutziger, die Strumpfhosen waren noch fadenscheiniger geworden und die Schuhe weiter abgelaufen. Nach wie vor aber wippten die zerrupften Federn an seinem breitkrempigen Hut fröhlich bei jeder Bewegung, ebenso strahlten seine hellen Augen noch dieselbe Wachheit und Freude am Dasein aus. Lediglich an seinen Fingern fanden sich deutlich weniger Tintenflecken, was wohl daher rührte, dass er während des Reisens weniger über Büchern und Handschriften grübelte.
»Polyphemus und Gottlieb haben einen hervorragenden Plan, wie Eure Rettung aussehen kann«, platzte die Base gleich dazwischen, sobald sie Dora zur Begrüßung inständig an sich gedrückt hatte.
»So?«, war alles, was Dora dazu zu sagen wusste. Als sie die Enttäuschung ob ihrer fehlenden Begeisterung auf dem Gesicht der Base gewahrte, holte sie tief Luft und erklärte: »Mir scheint, als hätte es in den letzten Monaten mehrere Pläne gegeben, wie Jan Gottlieb oder Feliks Baranami mich hier herausholen wollten. Bislang aber ist leider gar nichts geschehen, außer, dass ich letztens eine sehr merkwürdige Unterhaltung mit der Königin hatte.«
»Ihr wart bei Bona Sforza?« Mathilda riss vor Staunen die Augen weit auf. »Das ist hervorragend! Also zeigt Gottliebs Vorgehen erste Erfolge.«
»Seither ist schon mehr als eine Woche vergangen, ohne dass Weiteres geschehen wäre.« Dora fiel es schwer, ihre Verbitterung nicht allzu offen zu zeigen. »Die Königin hat mir erzählt, wie sehr sie das Werkmeisterbuch meines Ahns begeistert. Außerdem hielt sie auch meine Aufzeichnungen in Händen. Ihr hättet das beides Gottlieb überlassen, damit er es ihr zeige, hat sie behauptet.«
»Es tut mir leid, dass ich das ohne Euer Einverständnis tun musste. Mir blieb jedoch keine Wahl. Gottlieb und ich waren uns einig, die Unterstützung der Königin auf diese Weise am besten gewinnen zu können. Sie wird Euch erzählt haben, wie sehr sie sich selbst mit der Baukunst beschäftigt. So, wie es aussieht, geht der Plan auf.«
»Die Frage ist nur, wie viel das noch bewirkt. Göllner ist am selben Tag hier bei Hof aufgetaucht.«
»Was?«, schrien Mathilda und Polyphemus gleichzeitig auf.
»Zusammen mit dem Krakauer Gerichtsvogt Wierzynek hat er beim König vorgesprochen«, fügte Dora hinzu.
»Auch wenn ich schon lange damit gerechnet habe, sind das in der Tat keine sonderlich guten Neuigkeiten.« Polyphemus senkte den Blick, rieb sich mit den schmuddeligen Fingern das bartlose, feiste Kinn, das sich nur wenig von seinem wulstigen Hals abhob.
»Eine Woche ist das her?«, hakte Mathilda unterdessen nach. »Das klingt doch gut.«
»Wie bitte?« Kaum gelang es Dora, ihre
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