Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
richteten Dora und Mathilda ihre Blicke auf ihn.
»Ich muss Euch etwas gestehen, Stöckelin.« Er nahm den Hut vom Kopf, presste ihn vor die breite Brust und senkte reumütig das Haupt.
»Bitte sagt mir sofort, um was es geht.« Dora packte eine ängstliche Ungeduld.
Erleichtert richtete der Bibliothekar sich auf, setzte erst umständlich den Hut wieder auf, bevor er fortfuhr: »Damals in Thorn habe ich Euch nicht alles gegeben, was ich von Eurem Gemahl in der herzoglichen Bibliothek gefunden habe.«
»Was? Wie kommt Ihr dazu …«, wollte Dora aufbrausen, doch Mathilda legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm.
»Es ist unverzeihlich, ich weiß, doch Ihr werdet gleich verstehen, wie wohl ich daran getan habe. Die persönlichen Aufzeichnungen des Kammerrats habe ich Euch selbstverständlich vollständig überlassen, zumindest in der Form, wie ich sie fand. Die gehören Euch allein. Ihr seid seine Witwe, Euch allein steht es zu, darüber zu entscheiden, was weiter damit geschieht. Doch daneben fand ich noch Unterlagen, die zwar ebenfalls eindeutig von seiner Hand und der eines weiteren uns gut bekannten Herrn stammen, allerdings war mir auf den ersten Blick klar, dass es sich dabei um Schriftverkehr der herzoglichen Kammer beziehungsweise aus den frühen Jahren des damaligen Hochmeisters Albrecht in Nürnberg handeln musste. Bei näherem Studium erkannte ich genauer, was es war: Göllners und Stöckels Aufzeichnungen über Anschaffungen, Abrechnungen und Abmachungen mit Dritten, die zur Einrichtung der herzoglichen Hofhaltung in Königsberg nötig waren. Nachdem Euer Gemahl tot und mir Göllners Auftreten bei Hofe schon lange ein Dorn im Auge ist, hielt ich es für ratsam, diese Unterlagen vorerst bei mir zu behalten. Nach meiner Rückkehr nach Königsberg werde ich sie selbstverständlich dem Herzog übergeben.«
»Eure Ehrlichkeit rechne ich Euch hoch an, aber was hat das mit meiner derzeitigen Lage zu tun?« Dora äugte zu Mathilda, die ebenfalls etwas ratlos aussah.
»Das ist doch ganz offensichtlich!« Begeistert von den eigenen Überlegungen, reckte Polyphemus den Zeigefinger in die Luft und verharrte einen Moment auf den Zehenspitzen. »Zusammen mit den Chroniken Eures Gemahls liegen damit sämtliche Beweise vor, die Göllners unlautere Machenschaften damals in Nürnberg wie auch in den letzten Jahren in Königsberg belegen. So können wir seine bösen Absichten nachweisen und ihn als den entlarven, der er wirklich ist, als einen rachsüchtigen, hinterhältigen Betrüger, der immer nur den eigenen Vorteil im Sinn hat und deshalb blindlings jedem schadet, der ihm in die Quere kommt. Kein einziges Wort mehr wird der König ihm glauben und deshalb sämtliche Anschuldigungen gegen Euch fallenlassen.«
»Was aber ist mit Veit Singeknecht? Auch er wird beschuldigt, den Tod meines Mannes mit Absicht herbeigeführt zu haben«, gab Dora zu bedenken. Noch überzeugte sie Polyphemus’ Argumentation wenig. »Steinmetzmeister Miehlke hat gleich …«
»Ich weiß«, wehrte der Bibliothekar ab. »Der gute Mann konnte gar nicht anders, als das zu behaupten. Er besaß doch nicht die geringste Ahnung, wie geschickt Göllner das alles eingefädelt hatte. Natürlich konnte der Hausvogt nicht vorhersehen, dass der morastige Baugrund dazu führen würde, dass die Mauer ausgerechnet in dem Moment einstürzte, als Euer Gemahl auf der Baustelle eintraf. Als es dann passierte, war er gewiss nicht sonderlich unglücklich, seinen Erzfeind auf diese Weise losgeworden zu sein. Noch dazu, wo der Verdacht gleich auf Singeknecht fiel. Der hatte sogar noch versucht durch das eilig verstärkte Fundament die schlechte Bodenbeschaffenheit auszugleichen. Leider vergeblich. Göllner allein trifft die ganze Schuld, weil er alles darangesetzt hat, Euren Gemahl in den Augen des Herzogs schlechtzumachen, bis Albrecht ihn letztlich mit dem morastigen Grundstück abfertigte. Göllner wollte eigentlich zwar nicht direkt Stöckels Tod, aber er wollte, dass er beim Herzog in Ungnade fiel und ungerecht behandelt wurde.«
»Um das noch besser zu belegen, müssen wir auf die Unterlagen aus Nürnberg hoffen«, schaltete sich Mathilda ein.
»Welche Unterlagen aus Nürnberg denn noch?« Dora verstand immer weniger.
»Gottlieb hat uns erzählt, dass der alte Singeknecht vor seiner überstürzten Abreise veranlasst hat, dass bestimmte Akten und Schriftstücke nach Kazimierz geschickt werden, die Urbans Schilderungen wie auch die mir vorliegenden
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