Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
die sein Haupt bekrönte. Wie bei Zygmunt August war auch sein Antlitz von der langen Nase sowie den großen Ohren und der hohen Stirn beherrscht. Anders als sein Sohn trug er den graumelierten Bart allerdings als struppige Fülle unter dem Kinn. Erschreckend dünne Arme und Beine ragten unter den Falten seines roten, mit schwarzem Pelzkragen verzierten Mantels hervor, auch dies eine auffällige Gemeinsamkeit mit seinem Sohn.
Beim Anblick des alten Königs erfasste Dora große Ehrfurcht. Zwar hatte sie gewusst, dass Zygmunt nahezu achtzig Jahre zählte und kaum mehr fähig war, die Amtsgeschäfte allein zu führen, dennoch erschien er ihr nach wie vor als sehr imposant, was vielleicht auch an der ehrfürchtigen Art lag, mit der ihm sein Sohn wie auch die ihn umgebenden Getreuen begegneten. Kaum einer wagte, die unsichtbare Grenzlinie von etwa einem halben Dutzend Schritten zum Thronsessel zu überschreiten. Die Unterhaltungen führten die Hofleute in gedämpftem Ton, scheinbar jederzeit bereit, auf einen kurzen Wink von Zygmunt August zum König vorzutreten und ihm auf eine Frage ergeben Rede und Antwort zu stehen. Lediglich einer stach aus der Reihe der Versammelten unangenehm hervor: Egbert Göllner.
Kaum gewahrte Dora die Gegenwart des herzoglichen Hausvogts aus Königsberg, schwand ihre Hoffnung. Mit einer beneidenswerten Sicherheit hielt er sich nur wenige Schritte von den beiden Königen entfernt und warf ihr aus seinen dunkel umschatteten Augen bedrohliche Blicke entgegen. Um den bartlosen Mund zuckte es verächtlich. Die Hände hinter dem veilchenblauen Faltrock verschränkt, machte er schließlich zwei Schritte zur Seite, wo zu allem Überfluss der finstere Krakauer Gerichtsvogt ausharrte. Verschwörerisch tuschelnd steckten die beiden ihre Köpfe zusammen, was Dora angesichts der Gegenwart von Zygmunt und Zygmunt August als ein geradezu herausforderndes Verhalten empfand. Die beiden polnischen Könige aber schien es nicht zu stören. Viel zu beschäftigt waren sie mit einem Dora unbekannten dritten Mann, den sie aufgrund seines langen schwarzen Kaftans und des gelben Rings auf der Brust als Juden erkannte. Sogar den vorgeschriebenen Spitzhut behielt er im Angesicht der beiden Majestäten auf dem Kopf. Ob das Jan Gottlieb war? Eigentlich hatte sie sich ihn älter vorgestellt, war dieser hier doch höchstens Mitte dreißig, wie sein dichtes schwarzes Haar und der üppige, lange, ebenso tiefschwarze Bart verrieten.
»Königliche Hoheit!«, brüllte der Wachmann und klopfte seine Pike auf den Steinboden. Sofort verstummten die Anwesenden, wandten sich neugierig um. Dabei wurden sie Dora gewahr. Manche runzelten die Stirn, andere schauten verwirrt, wieder andere rissen erstaunt die Augen auf. Dora war, als starrten selbst die Augen der geschnitzten Holzköpfe an der Decke wieder anklagend auf sie herunter. Ebenso laut wie vorhin setzte der Wachmann nach: »Dora Stöckelin aus Königsberg.«
Bei Nennung ihres Namens grinste Göllner spöttisch, während Wierzynek etwas in seinen dunklen Bart brummte. Der Jude wie auch Zygmunt und sein Sohn richteten ihre Blicke voller Neugier auf sie. Schweigend bildeten die übrigen Anwesenden eine Gasse, um ihr den Weg zu den beiden Königen zu bahnen, und verfolgten aufmerksam, wie der Wachmann sie schroff vor sich her nach vorn scheuchte. Sobald Dora vor den beiden Königen zu stehen kam, verneigte sie sich tief. Ein laut vernehmliches Räuspern von Zygmunt August bedeutete ihr, sich wieder aufzurichten.
Scheu hob sie das Antlitz. Der alte Zygmunt hatte offenbar Mühe, seinen unruhig flatternden Blick auf ihr zur Ruhe kommen zu lassen. Sie fuhr zurück, als sie erkannte, wie leer seine trüben Linsen wirkten. Endlich aber hatte er es geschafft und blickte sie ausdruckslos an.
»Schaut zu mir!« Ehe sie sichs versah, stand Zygmunt August vor ihr und zwang mit den Fingerspitzen ihr Kinn nach oben. Wie schon seine Mutter zeigte auch er sich brennend an ihren verschiedenfarbigen Augen interessiert. »In der Tat! Ein ganz besonderer Blick.«
Er wandte sich wieder ab und flüsterte seinem Vater etwas ins Ohr. Der alte Zygmunt nickte bedächtig, hob die Hand zum Kinn, strich mit den knotigen Fingern durch den graumelierten Bart. Als er den Mund zum Sprechen öffnete, gewahrte Dora die traurigen Zahnstümpfe in seinem Gebiss.
»So seid Ihr also von Gott mit Euren wundersamen Augen ausgezeichnet.«
»Oder vom Teufel«, gab der junge König zu Doras Entsetzen zu
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