Die Liebe des Highlanders
trinken, und dann über Nacht bei ihm bleiben. Deswegen bin ich hier.« Sie deutete mit der Hand auf die Plastikschale und das Sandwich von einem Im- bissstand.
»O Beatrice, es tut mir so Leid«, sagte Gwen. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Die Tränen, die sie so tapfer zurückgehalten hatte, liefen ihr jetzt über die Wangen - Tränen, die Drustan galten und jetzt auch Beatrice und Bertie.
»Liebes, Sie weinen meinetwegen? O Gwen!« Beatrice rutschte näher zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie hielten einander lange fest.
Und etwas in Gwens Innerem brach entzwei.
In der mütterlichen Umarmung von Beatrice traf sie der Schmerz mit voller Wucht. Wie unfair das war! Man liebte so sehr, nur um dann einen derart schmerzlichen Verlust zu erleiden. Das Leben war grausam. Beatrice hatte ihren Bert gerade erst gefunden, genau wie sie ihren Drustan. Mussten sie nun endlos leiden, weil sie den Geliebten verloren hatten?
»Es ist besser, gar nicht zu lieben«, murmelte Gwen bitter.
»Nein«, schalt Beatrice sie sanft. »Das dürfen Sie nie denken. Es ist besser zu lieben, auch wenn man den Geliebten irgendwann verliert. Diese alte Weisheit hat ihre Gültigkeit. Selbst wenn ich keinen Augenblick mehr mit Bertie erlebe, bin ich doch glücklich, ihm begegnet zu sein. In den letzten Monaten hat er mir so viel Liebe und Leidenschaft gegeben, wie viele Menschen in ihrem ganzen Leben nicht bekommen. Und außerdem wird er wieder gesund. Ich werde mich an sein Bett setzen, seine Hand halten und ihn anschreien, bis es ihm besser geht. Dann schleppe ich ihn jede Woche zum Arzt und lerne, wie man gesunde Kost ohne Fett und Butter zubereitet. Ich lasse nicht zu, dass dieser Mann von mir geht.« Sie ballte die beringte Hand zur Faust und schüttelte sie gen Himmel. »Du bekommst ihn noch nicht. Er gehört mir.«
Gwen entfuhr ein Lachen, und gleichzeitig strömten frische Tränen. Wenn es doch für sie auch so einfach wäre. Wenn sie wenigstens wie Beatrice um ihren Mann kämpfen könnte. Aber der ihre war seit fast fünfhundert Jahren tot.
Ihr wurde bewusst, dass Beatrice sie forschend musterte.
Sie fasste Gwen an den Schultern und sah ihr tief in die Augen.
»Liebes, was ist mit Ihnen? Es scheint, als hätten Sie selbst ein Problem.«
Gwen schob sich die Haare hinter die Ohren und wandte sich ab. »Es ist nichts«, versicherte sie schnell.
»Versuchen Sie nicht, mich anzuschwindeln«, tadelte Beatrice. »Bertie würde Ihnen jetzt sagen, dass es sinnlos ist, mich abzuwimmeln, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe. Sie weinen nicht nur, weil mein Bertie krank ist.«
»Sie haben wirklich selbst genug am Hals ...«, wehrte Gwen ab.
»Deshalb sollten Sie mir eine Sorge abnehmen, indem Sie mich von meinen Problemen ablenken«, beharrte Beatrice. »Geteiltes Leid ist halbes Leid. Was haben Sie heute erlebt? Haben Sie Ihren ... äh, Kirschenpflücker gefunden?« Ihre blauen Augen blitzten. Gwen staunte, weil sich Beatrice selbst in dieser Situation noch für andere interessieren konnte.
Ob ich meinen Kirschenpflücker gefunden habe ? Gwen unterdrückte ein hysterisches Lachen. Wie konnte sie Beatrice erzählen, dass sie an einem einzigen Tag beinahe einen ganzen Monat erlebt hatte? Oder zumindest glaubte erlebt zu haben? Es war so eigenartig, von den Bergen ins Dorf zu kommen und festzustellen, dass fast keine Zeit vergangen war. Allmählich fürchtete sie um ihren Verstand.
Aber Beatrice hatte Recht: Geteiltes Leid war wirklich halbes Leid. Sie wollte über Drustan reden. Sie musste über ihn reden. Aber wie konnte sie ihrem Kummer Luft machen, ohne ...
»Es ist wirklich nichts«, log sie wenig überzeugend. »Aber ich könnte Ihnen eine Geschichte erzählen, um Sie auf andere Gedanken zu bringen.«
»Eine Geschichte?« Die Augenbrauen von Beatrice krochen bis unter die silbernen Löckchen.
»Ja, ich habe mir überlegt, dass ich es mal mit der Schriftstellerei versuchen könnte, und mir ist da eine Geschichte eingefallen, aber ich habe Schwierigkeiten mit dem Ende.«
Beatrice sah sie nachdenklich an. »Eine Geschichte, sagen Sie? O ja, ich würde sie sehr gern hören. Vielleicht finden wir dann gemeinsam heraus, wie sie enden sollte.«
Gwen holte tief Luft und begann: »Die Heldin ist ein Mädchen, das in den Bergen von Schottland eine Wanderung macht. Sie findet einen verzauberten, schlafenden Highlander in einer Höhle über Loch Ness ... ziemlich weit hergeholt, nicht wahr?«
Eine Stunde später
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