Die Liebe des Highlanders
fielen in der Zeit, in der er diesen Befehl aussprach, drei Dinge auf. Erstens: Seine silbernen Augen schienen, obwohl das natürlich unmöglich war, von innen heraus zu leuchten, wie sie es einmal in einem Science-Fiction-Film gesehen hatte. Zweitens: Seine Stimme war verändert; sie klang wie ein Dutzend übereinander gelagerter Stimmen und löschte jeden freien Willen aus. Und drittens: Wenn er ihr in diesem Tonfall befehlen würde, sich in einen Abgrund zu stürzen, würde sie es vermutlich tun.
Ihre Beine bewegten sich bereits im Laufschritt, während ihr diese Gedanken noch durch den Kopf gingen.
Doch im Steinkreis wurde der unheimliche Zwang schwächer; sie blieb stehen und sah zurück. Drustan war in die Ruine gegangen und auf den höchsten Steinhaufen geklettert; eine kniende schwarze Silhouette, die sich zurückneigte und die Faust gen Himmel erhob. Als er den Kopf nach hinten warf und brüllte, gefror ihr das Blut in den Adern.
War das derselbe Mann wie der, der sie in der Umkleide- kleidekabine geküsst hatte? Der eine Hitze wie in einem Vulkan in ihr entfacht und sie glauben gemacht hatte, dass es Leidenschaft gab, auch wenn ihre Eltern ihr so etwas nie vor- gelebt hatten?
Nein. Dies war der Mann, der fünfzig Waffen am Leib trug. Dies war der Mann, der eine Axt mit doppeltem Blatt und ein Schwert bei sich hatte.
Dies war der Mann, an den sie allmählich ein kleines Stück des Organs verlor, das sie bisher lediglich für eine effiziente Pumpe gehalten hatte. Diese Erkenntnis erschreckte sie. Verrückt oder nicht, Angst einflößend oder nicht - er weckte Gefühle in ihr, die sie bisher nicht gekannt hatte.
M acKeltar, dachte sie, was um alles in der Welt soll ich mit dir an fangen?
Drustan weinte.
Das Schlimmste hatte sich bewahrheitet. Er lag auf dem Rücken in der Großen Halle, hatte ein Knie angewinkelt, die Arme ausgebreitet, die Finger in das hohe Gras gekrallt und dachte an Silvan.
Du hast nur eine Aufgabe im Leben, mein Sohn, genau wie ich. Beschütze das Geschlecht der Keltar und das Wissen, das wir bewahren.
Er hatte versagt. In einem Moment der Unachtsamkeit hatte man ihn überrumpelt und verzaubert, ihn aus seiner Zeit entführt und für Jahrhunderte begraben. Sein Verschwinden hatte die Vernichtung des Clans und die Zerstörung der Burg nach sich gezogen. Silvan war tot, das Geschlecht der Keltar ausgelöscht, und Gott allein wusste, wo die Steintafeln und die Folianten waren. Die Möglichkeit, dass das geheiligte Wissen in falsche Hände gefallen sein könnte, erfüllte ihn mit grenzenloser Furcht. Er wusste, dass ein habgieriger Mann mit diesem Wissen die gesamte Welt umformen, beherrschen oder vernichten konnte.
Beschütze den Clan. Beschütze das Wissen.
Eine erfolgreiche Rückkehr in seine Zeit war dringend geboten.
Er selbst hatte sich zwar kein bisschen verändert, aber dennoch waren fünfhundert Jahre vergangen. Nichts, was an seinen Vater oder den Vater seines Vaters erinnerte, war geblieben. Jahrtausende der Ausbildung und der eisernen Disziplin - alles war in einem einzigen Wimpemschlag verloren gegangen.
Morgen Nacht würde er in den Steinkreis gehen und das Ritual durchführen.
Morgen Nacht würde er auf die eine oder andere Art das Hier und Jetzt verlassen.
Und wenn Gott es wollte, dann würde morgen Gwens Jahrhundert keine Bedeutung mehr haben. Mit ein wenig Glück konnte er all das Unrecht abwenden.
Doch im Augenblick befand er sich noch im einundzwanzigsten Jahrhundert. Sein Clan war ausgestorben, die Burg verfallen - die glorreiche Vergangenheit war nichts als gemeiner Staub, der durch Schottland wehte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. Dann stand er auf, wanderte in den Ruinen umher und suchte nach den Gräbern. Er fand keinen einzigen neuen Grabstein im Kirchhof. Wohin war sein Clan gegangen? Wo lagen sie begraben? Wo war Silvans Grabstein? Silvan hatte immer wieder erklärt, dass er unter der Eberesche hinter der Kapelle begraben werden wollte. Aber es gab keinen Stein mit seinem Namen.
Dageus MacKeltar, geliebter Bruder und Sohn.
Drustan strich mit zittrigen Fingern über den Stein, der das Grab seines Bruders markierte. Er konnte nicht verstehen, dass fünfhundert Jahre vergangen waren, und durchlitt den gleichen Schmerz, als hätte er Dageus erst vor vierzehn Tagen zu Grabe getragen. Der Tod seines Bruders, der ihm sehr nahe gestanden hatte, hatte ihn beinahe um den Verstand gebracht. Nach dem Verlust seines geliebten Dageus
Weitere Kostenlose Bücher