Die Liebe des Highlanders
offenbar der einzige Optimist.
Er stand hungrig auf, fand aber k ein einziges Küchenmäd chen. Also ging er in die Küche und rief nach Nell. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie endlich ihren Kopf aus der Speisekammer streckte und fragte, was er wollte.
»Was wünscht sich jeder Mann am Morgen«, hatte er sie geneckt, »abgesehen von einem temperamentvollen Gerangel zwischen den Laken? Etwas zu essen.«
Nell hatte sich weder zu einem Lächeln durchgerungen noch eine schlagfertige Antwort gegeben. Stattdessen warf sie ihm seltsam giftige Blicke aus den Augenwinkeln zu und folgte ihm in die Große Halle. Dort setzte sie ihm hartes, eine Woche altes Brot, schales Ale und eine Schweine fleischpastete vor, die, wie er argwöhnte, Teile vom Schwein enthielt, über die er lieber nicht nachdenken wollte.
Wo blieben seine geliebten Heringe und die goldbraun gebratenen Kartoffeln? Seit wann musste er, Nells Liebling, sich mit einem so kargen Frühstück zufrieden geben? Gelegentlich wurde Dageus so stiefmütterlich behandelt - gewöhnlich, wenn er etwas mit einem Mädchen angestellt hatte, womit Nell nicht einverstanden war -, aber Drustan nie.
Er saß allein in der Großen Halle und wünschte, jemand, irgendjemand, und sei es der junge Tristan, dieser hellwache Bursche, der von Grund auf das Druidenwissen erlernte, würde mit einem »Guten Morgen« oder einem Lächeln hereinschlendern. Drustan war fast immer ausgeglichen und gut aufgelegt. Aber heute Morgen schien seine ganze Welt aus dem Gleichgewicht geraten, und er konnte eine böse Vorahnung, dass noch Schlimmeres auf ihn zukam, nicht abschütteln.
»Also?« Silvan reckte den Kopf um den Türrahmen und musterte seinen Sohn intensiv. »Wo warst du letzte Nacht?« Der Rest von Silvan trat gemächlicher in Erscheinung. Drustan lächelte ein klein wenig. Und wenn er hundert Jahre alt würde, an den Gang seines Vaters würde er sich nie gewöhnen: den Kopf immer voran, alles andere kam dann hinterher; als wäre der Körper für Silvan lediglich eine Stütze, die seinen Kopf von einem Ort zum anderen transportierte.
Drustan trank einen Schluck von dem schalen Ale und sagte: »Auch dir einen schönen guten Morgen, Da.« Waren heute alle in so übler Stimmung? Silvan hatte nicht einmal einen Gruß für ihn übrig. Er stellte nur diese eine Frage, die wie eine Anklage klang, und gab ihm das Gefühl, wieder ein Junge zu sein, der dabei erwischt wurde, wie er nachts aus der Kammer einer Dienstmagd huschte.
Der ältere Keltar blieb stehen, lehnte sich an eine steinerne Säule und verschränkte die Arme. Silvan war etwa so groß wie Drustan. Da er aber zu sehr damit beschäftigt war, über die Geheimnisse des Universums nachzugrübeln und Notizen in sein Tagebuch zu kritzeln, um sich körperlich zu ertüchtigen oder mit dem Schwert zu üben, war er viel schmaler.
Drustan zwang sich, einen Bissen von dem zu essen, was er für Schweineschwanz-Pastete hielt. Beim Kauen knirschte das Zeug zwischen seinen Zähnen. Bei Amergin, was hat Nell da hineingetan'!, fragte er sich und vermied es, sich die Füllung genauer anzusehen. Hatte sie das scheußliche Ding im Voraus gebacken, um jemanden, der sie irgendwie verärgert hatte, damit zu bestrafen?
»Ich habe dich gefragt, wo du warst«, wiederholte Silvan.
Drustan runzelte die Stirn. Ja, Silvans Laune war wirklich nicht die beste. »In meinem Bett. Ich habe geschlafen. Und du?«
Er nahm etwas Undefinierbares von seinem Teller und bot es einem der Hunde an, die unter dem Tisch lagen. Das Tier zog die Lefzen hoch, knurrte und wich zurück. Drustan starrte argwöhnisch auf die Pastete, dann sah er seinen Vater an. Silvan wirkte heute genauso alt, wie er war, und das machte Drustan traurig und ärgerlich.
Traurig, weil Silvan tatsächlich alt war - zweiundsechzig
Jahre alt. Ärgerlich, weil sein Vater seit einiger Zeit sein Haar lose um die Schultern hängen ließ, und das ließ ihn noch älter aussehen. Es gefiel ihm nicht, mit der Sterblich- keit seines Vaters konfrontiert zu werden. Er wollte, dass seine Kinder noch lange einen Großvater hatten. Silvans einst schwarzes Haar war mit den Jahren schlohweiß geworden. Er trug es schulterlang, und es besaß so etwas wie ein Eigenleben. In dem langen blauen Gewand sah sein Vater aus wie ein zerstreuter, weltfremder Philosoph.
Drustan nahm das Lederband aus seinen Haaren und warf es seinem Vater zu. Er war erleichtert, dass sein Vater noch flink genug war, um es mit einer Hand
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