Die Liebe des Kartographen: Roman
auf und davon galoppiert. Nur aufgrund dieser nüchternen Ãberlegungen hatte Philip sich schlieÃlich zusammengerissen und es bei einem lauten Fluch belassen.
»Ist alles in Ordnung, gnädiger Herr?«, fragte ein Schankmädchen mit unsicherer Stimme. Als Philip den Raum betreten hatte, war zwischen ihr und den anderen Weibern fast ein Streit darüber entstanden, wer den gut aussehenden Burschen bedienen durfte. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, ob es wirklich ein solches Glück war, für seinen Tisch zuständig zu sein. Diese düstere Miene! Wo er doch so ein feiner Herr war! Wenn er sich später beim Wirt über sie beschwerte, hätte das ein paar ordentliche Ohrfeigen für sie zur Folge.
Philip schaute auf. In Ordnung war heute gar nichts, aber welchen Sinn hätte es gehabt, dem Weib das zu erklären? Er bestellte noch einen Krug Bier und zwang sich zu einem Lächeln, das jedoch eher einer Grimasse gleichkam. Als das Schankmädchen wieder an seinen Tisch trat, beugte sie sich mit ihrem Oberkörper so weit über ihn, dass Philip ihren Achselgeruch riechen konnte. »Wenn der Herr noch etwas wünscht â¦Â« Wie einen Köder an der Angel lieà sie den Satz in der Luft hängen.
Unwirsch winkte Philip sie davon. Für ihre Brüste hatte er keinen Blick übrig.
Wieder allein am Tisch, starrte er vor sich hin. Gut. Vielleicht würde er jetzt wenigstens mit seinem Tagebuch beginnen können. Er nahm die bereitgelegte Feder in die Hand, tauchte sie ins ebenfalls bereitgestellte Tintenfass und öffnete fast andächtig das Buch mit den noch leeren Seiten. Auf die erste Seite pinselte er in groÃen schwungvollen Buchstaben die Worte »Cartographia Würtembergica«.
So würde er sein Werk später einmal nennen, und so sollte auch sein Tagebuch heiÃen. Er hatte sich vorgenommen, den Reiseverlauf und seine Beobachtungen wann immer möglich â am besten natürlich jeden Tag â darin festzuhalten. Vielleicht würde es für seine Nachwelt einmal interessant sein zu lesen, wie eines der bedeutendsten Kartenwerke Württembergs entstanden war?
»Reutlingen, am zwanzigsten März im Jahre 1580.
Der erste Tag meiner Reise liegt nun hinter mir. Heute habe ich die Strecke zwischen Tübingen und Reutlingen vermessen â¦Â«
Nach einer kurzen Beschreibung der Landschaft und des Wetters hielt er inne. Was jetzt? Hätte er etwa schreiben sollen, dass sein Ross im hohen Bogen auf seine Skizzen gepinkelt hatte? Was würde die Nachwelt wohl dazu sagen?
Hinter ihm brüllten sich zwei Männer laut an, warfen mit einem Ruck Tisch und Bank um und hielten einander am Kragen fest. Angewidert drehte Philip sich ab und verfolgte nur aus dem Augenwinkel, wie der Wirt zwischen die beiden Streithähne trat. Gut so, dachte Philip â und wurde im gleichen Moment von hinten ins Kreuz gestoÃen, als einer der beiden Betrunkenen sich wieder zu setzen versuchte.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es ihm. Jetzt hatte er wegen dieses Trottels eine Ecke seiner ersten Tagebuchseite abgeknickt! Am Nachmittag der Gaul, jetzt dieser Betrunkene â hatte es denn jeder auf seine Aufzeichnungen abgesehen? Der lädierte Anblick des vor kurzem noch jungfräulichen Blattes verursachte ihm fast schon körperliche Schmerzen. Er versuchte, die abgeknickte Ecke wieder zu glätten. Wäre Philip abergläubisch gewesen, hätte er dies für ein schlechtes Omen für sein Unternehmen halten müssen.
»Und? Wo geht die Reise morgen hin?« Mit einem Aufseufzen hatte sich der dickleibige Wirt gegenüber Philip niedergelassen. Er rieb sich die bierfeuchten Hände an seinem Kittel ab und schaute seinen Gast erwartungsvoll an.
Auch das noch! Auf ein Gespräch mit dem Wirt hatte er nun gar keine Lust. Philip überlegte kurz, ob er demonstrativ seine Feder in die Tinte tauchen und weiterschreiben sollte, entschied dann aber, dass dies doch zu unhöflich wäre. »Zuerst wieder ein Stück zurück in Richtung Tübingen. Wenn ich in diesem Gebiet fertig bin, gehtâs weiter nach Urach.«
Dem Wirt war anzusehen, dass ihm einige Fragen auf der Zunge brannten, gleichzeitig wusste er jedoch nicht so recht, wie er damit beginnen sollte. Einen Kartographen hatte er schlieÃlich noch nie in seiner Wirtsstube gehabt.
Philip hatte gehofft, seine herzögliche Reiseerlaubnis
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