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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Menschen zu sehen.« Er kniff die Augen zusammen, als wolle er einen genaueren Zeitpunkt bestimmen, ging dann aber doch nicht näher darauf ein. Stattdessen sagte er: »Das war erst der Anfang von der ganzen elenden Geschichte.« Er schloss die Augen, als könne er so einer grausigen Wahrheit entrinnen.
    Philip und Xelia schauten sich an.
    Â»Ist noch Wein da?« Fragend blickte Hyronimus zu Philip. Als dieser nachgeschenkt hatte, nahm er einen Schluck und befeuchtete damit seine Lippen. Dann sprach er weiter.
    Â»Die ersten Monate beschäftigte ich mich nur mit dem Aussatz, so dass ich für gar nichts anderes Zeit hatte. Bei meinen Studien hatte ich mich vor allem mit Seuchen befasst und natürlich auch mit verschiedenen Krankheiten.Nur mit dem Aussatz nicht. Wann hat man schließlich schon einmal etwas mit einem Aussätzigen zu tun?« Er lachte bitter.
    Xelia und Philip nickten.
    Â»Wenn meine Mutter selig mir nicht davon erzählt hätte, wüsste ich nicht einmal, dass es diese schreckliche Krankheit gibt!«, sagte sie. »Die Leute in den Dörfern sind doch froh, wenn sie nichts mit den Kranken zu tun haben müssen.«
    Hyronimus schaute auf.
    Â»Und das ist auch gut so!«, warf Philip heftig ein. Xelia und ihr ewiges Mitleid! »Am Ende wären noch alle krank. Die hohen Mauern der Aussätzigenspitäler sind schließlich nicht umsonst da! Es reicht, wenn die Leut’ zum Betteln rausdürfen.«
    Hyronimus’ Lachen hatte nichts Heiteres. »Nicht einmal das dürfen die armen Krüppel hier!«
    Â»Und wovon leben sie dann?« »Das haben wir gemerkt, dass niemand aus dem Spital darf?«, sprachen Xelia und Philip durcheinander.
    Â»Leben!« , meinte Hyronimus verächtlich. »Ob man das ›leben‹ nennen kann, sei dahingestellt. Sie heißen nicht umsonst die lebenden Toten, nicht wahr?«
    Bitterkeit sprach auch aus seinen nächsten Worten. Sosehr er sich auch mit der schrecklichen Krankheit befasst hatte, die die Menschen auffraß – er fand doch kein Heilmittel dagegen. Adalbert hatte es mit allem Möglichen probiert: Waschungen mit verdünnter Säure, dicke Salben, unter denen Geschwüre austrocknen sollten – die stattdessen weiter anschwollen. In schlimmen Fällen – und die gab es weiß Gott auch, da hatte der Hurensohn von Stadtarzt zum ersten Mal die Unwahrheit gesagt – hatte Hyronimus sogar das eine oder andere Glied ganz abgenommen. Und für was? Um festzustellen, dass die Krankheit an genau der Stelle weitermachte, wo er das verfaulte Fleisch abgeschnitten hatte.
    Verfaultes Fleisch, Blut, Eiter, Gliedmaßen, die abgeschnitten wurden – Philip grauste es schon beim Zuhören. Er spürte, wie die Säure des Weines sich in seinem Magen mit dem fetten Schinken vermischte. Er rülpste laut, um Luft abzulassen. Trotzdem hatte er danach noch immer das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Es wurde Zeit, dass sie von etwas anderem sprachen!
    Â»Dass der Aussatz eine schlimme Geißel ist, wissen wir. Hast du nur das gemeint, als du von der Hölle auf Erden gesprochen hast?« Wie er Adalbert kannte, steckte noch weit mehr dahinter.
    Und so war es auch. »Glaubst du wirklich, ich hätte einer Krankheit klein beigegeben, mag sie auch noch so schlimm sein?« Ohne auf Philips Antwort zu warten, fuhr Adalbert fort. »Die Menschen im Spital haben sich an ihre Krankheit gewöhnt. Sie leben damit. Der eine gut, der andere weniger gut. Bei manchen ist es nur ein Arm oder ein fauliges Ohr, welches Schwierigkeiten macht. Davon abgesehen könnten sie ein recht ordentliches Leben führen. Wenn man sie ließe!«
    Nun erzählte der Arzt von der Wurzel allen Übels und versetzte damit Philips Magen in noch heftigere Aufruhr: Der Reichtum des Stadtarztes kam nämlich nicht von ungefähr, sondern basierte auf dem Leid der Aussätzigen. Jeder, der im Spital aufgenommen wurde, musste sein ganzes Hab und Gut abgeben. Während den Kranken erzählt wurde, dass die Spitalsverwaltung diese Vermögen bestmöglich verwalten und vermehren wollte, damit sie den Rest ihres Lebens sorgenfrei davon leben konnten, wanderte in Wahrheit der Großteil davon gleich in die Tasche des Stadtarztes. Die Kranken selbst – und es waren reiche Leute darunter – mussten sich mit nackter Armut zufrieden geben, wovon Xelia sich heute ein Bild hatte

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