Die Liebe des Kartographen: Roman
erst einmal gemerkt haben, dass ich weg bin? Ganze Truppen wird der Stadtarzt auf die Suche nach mir schicken. Eigentlich müssten wir die Nacht nutzen, um ein besseres Versteck zu suchen als diese Scheune hier! Oder glaubt ihr, ich habe nochmals Lust darauf, im Spital eingesperrt zu werden wie ein wildes Tier?«
Philip schaute auf. Der Stadtarzt? Was hatte der mit allem zu tun? Es wurde Zeit, dass er endlich erfuhr, was los war! Gott sei Dank schien langsam wieder etwas Leben in seinen alten Lehrer zu kommen. »Mitten in der Nacht können wir nicht weg von hier, das weiÃt du so gut wie ich. Wir sollten also die Zeit so sinnvoll wie möglich nutzen. Was mich am meisten interessiert: Wem bist du im Spital so sehr auf die FüÃe getreten, dass die Wachen dich nicht mehr herausgelassen haben?«
Wie angenommen, kam ihm Xelia zu Hilfe. »Ja, das frage ich mich auch. Was ist los da drinnen? Und was hat der Stadtarzt damit zu tun?«
Adalberts Gesichtszüge wirkten plötzlich maskenhaft vor Anspannung. Er sah alt aus. »Die Hölle auf Erden ist los â das ist es!« Was wütend klingen sollte, hörte sich nur hilflos an.
»Warum beginnst du nicht am Anfang?« Philips stellte erstaunt fest, dass er wirklich an Adalberts Geschichte interessiert war und es ihm nicht allein ums Zeitschinden ging.
Und Hyronimus fing an zu erzählen.
~ 43 ~
A dalbert Hyronimus war vor zwei Jahren nach Blaubeuren gekommen. Von einem befreundeten Gelehrten hatte er erfahren, dass dort händeringend ein Stadtarzt gesucht wurde, nachdem der alte von einer Seuche dahingerafft worden war. Doch als er in Blaubeuren ankam und das Haus des Bürgermeisters aufsuchte, erlebte er eine Ãberraschung: Nicht einen Stadtarzt suchten sie, nein! Ein Spitalarzt war es, den sie dringend benötigten. Adalberts Bekannter musste sich verhört haben, hieà es im Haus des Bürgermeisters. Als Hyronimus erfuhr, dass es sich bei dem Spital um eine Aussätzigensiedlung handelte, war sein erster Gedanke gewesen, sein Bündel zu packen und wieder zu gehen. Doch so einfach wurde es ihm nicht gemacht. Der Bürgermeister tat alles, um Adalbert davon zu überzeugen, wie ehrenvoll und überaus wichtig die Position des Spitalarztes war. Als seine eigenen Ãberzeugungskünste nicht ausreichten, lieà er den Stadtarzt, Wilhelm Pfeiffer, kommen. Eine imposante Erscheinung, wie Hyronimus schon beim Blick durchs Fenster erkennen konnte: Von oben bis unten in dunkelblauen Samt gekleidet, fuhr der Mann in einer vierspännigen Kutsche vor. Ein Knecht half ihm eilfertig beim Aussteigen. Sein Gehstock war mit geprägtem Silber beschlagen und gab bei jedem Schritt das herbstliche Sonnenlicht in tausend Strahlen wieder. Nach einer überaus herzlichen BegrüÃung â obwohl man sich doch gar nicht kannte â beteuerte Wilhelm Pfeiffer immer wieder, dass er Hyronimus mit Rat und Tat zur Seite stehen würde, und dass es sich bei den Aussätzigen nicht um die schlimmsten Fälle handelte â vor diesen seien sie Gott sei Dank bisher verschont geblieben. Als Spitalsvorsteher würde er sich zwar nach allen Kräften um die Krankenkümmern, doch seine Zeit gehöre schlieÃlich auch noch den Kranken in der Stadt. Zu viel für einen Mann ⦠Er deutete an, welch fürstliche Entlohnung der zukünftige Spitalarzt zu erwarten hätte, und nannte eine Zahl, von der es Adalbert fast schwindlig wurde. Doch das letzte Argument des Stadtarztes war schlieÃlich das ausschlaggebende: »Die Kranken brauchen einen guten Spitalarzt!« Und so beschloss Adalbert, die Aufgabe anzunehmen. Er war sich bewusst, dass sein Leben von nun an völlig anders verlaufen würde. Sicher, er konnte das Spital verlassen und jederzeit in die Stadt gehen. Doch den GroÃteil seiner Zeit würde er unter Kranken verbringen. Unter Aussätzigen, genauer gesagt.
»Nein!« Xelia schüttelte sich. »Ich könnte das nicht. Mir tun die Menschen leid, das schon ⦠Aber der heutige Tag hat mir gereicht! Immer nur das Elend um sich zu haben â¦Â« Sie zuckte mit den Schultern und schaute vor sich auf den Boden.
Hyronimus warf ihr einen sanften Blick zu. »Daran gewöhnt man sich. Das würde dir nicht anders gehen, sonst hättest du den Tag nicht mit so viel Bravour überstanden. Irgendwann übersieht man die fauligen Arme und Beine und fängt an, die
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