Die Liebe des Kartographen: Roman
ist in der Regel unanfechtbar.« Ein seltsamer Ton klang in Adalberts Stimme mit, der Philip nachhaken lieÃ.
»Aber du hast es trotzdem getan, oder? Ich meine, deren Urteile angefochten?«
»Und ob!« Adalbert schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Der Kaufmann war der Erste, bei dem ich meine Zweifel hatte. Ich war gerade einmal einen Winter lang dort, als er zu uns gebracht wurde. Sein Weib hat ihn begleitet und so gotterbärmlich geheult, dass es schon fast komisch wirkte. Es war März damals, aber das Wetter war dem im November ähnlich â nebelig, düster und trüb. Dass bei so schlechtem Licht überhaupt eine Aussätzigenschau durchgeführt wurde, passte mir ganz und gar nicht. Aber Wilhelm Pfeiffer bestand darauf, und so standen die sechs Prüfmeister bereit.«
»Warum haben sie dich als Spitalarzt eigentlich nicht zu diesen Sondersiechenschauen dazugerufen? Das wäre doch das normalste von der Welt gewesen, oder?«
»Zu Beginn war ich auch ein paarmal dabei. Alles ging dabei rechtens zu, und als Pfeiffer dann meinte, ich könne in Zukunft diesen zeitaufwendigen Prüfungen fernbleiben, hatte ich nichts dagegen einzuwenden. Meine Tage waren von frühmorgens bis spätabends mit so vielen anderen Pflichten gefüllt, so dass ich über jede Stunde mehr froh war.«
»Und was war dann mit dem Kaufmann?« Xelia beugtesich ein wenig vor, um Hyronimus besser sehen zu können. Das Ãl in der Lampe war fast völlig ausgebrannt, und die Flamme begann unruhig zu fackeln.
»Tja, der wurde des Aussatzes bezichtigt. Da nutzte sein ganzes Geschrei nichts â dass er die roten Pusteln schon von jeher im Gesicht habe und dass auch die roten Flecken auf seinen Armen zu ihm gehörten wie seine Augen oder seine blonden Haare. Mit Händen und FüÃen hat der sich gewehrt, der arme Tropf. Aber es nutzte nichts, sie lieÃen ihn einfach nicht mehr raus.« Adalbert rieb sich die Nase. »Das allein hätte mich nicht stutzig gemacht, denn keiner will anfangs glauben, dass es ihn erwischt hat. Alle wehren sich, schreien, dass es nicht sein könne. Und leider, leider ist es halt doch oft so. Aber nicht bei dem Kaufmann. Es war purer Zufall, dass ich just in dem Augenblick am Tor vorbeiging, als sein Weib dem ältesten der Prüfmeister eine Geldkatze zusteckte. Und auf einmal konnte ich zwei und zwei zusammenzählen!«
»Hat Marlene mir nicht erzählt, dass es durchaus üblich ist, dass gesunde Frauen ihre kranken Männer ins Spital begleiten und mit ihnen dort wohnen?«
»Das kommt schon vor. Doch die Frau des Kaufmanns konnte sich nicht schnell genug verabschieden. Und sie ward danach nie mehr gesehen ⦠Wahrscheinlich ist sie zu sehr damit beschäftigt, es ihrem Gespielen zu besorgen!« Adalbert spuckte vor sich auf den Boden, als habe er etwas Bitteres gekostet.
Philip zuckte bei diesen derben Worten regelrecht zusammen. »Und wie hat der Stadtarzt reagiert, als du deine Vermutungen laut werden lieÃest?«, lenkte er ab, bevor Adalbert weiter ins Detail gehen konnte.
»Ich â und Vermutungen laut werden lassen? Da kennst du mich aber schlecht, mein Junge!«, prustete Hyronimus heraus.
Xelia musste lächeln.
»Ich habâ ihm ins Gesicht gesagt, was ich denke! Einenelenden Verbrecher habe ich ihn genannt und verlangt, dass er den Kaufmann auf der Stelle wieder herauslässt.«
»Und?« Philip zog die Augenbrauen hoch. Das war bezeichnend für Hyronimus. Keine Finesse, keine Diplomatie, dafür mit dem Kopf durch die Wand.
»Nichts und! Gelacht hat das Schwein. Er habe sich schon gefragt, wie lange ich brauche, um hinter ihre ergiebige Einnahmequelle zu kommen. Dann hat er mich auf meinen hohen Lohn angesprochen und ob ich glaubte, dass der von ungefähr käme. Schweigegeld hat er das genannt!«
Philip war vollkommen klar, wie Hyronimus darauf reagiert hatte.
»Aber wieso haben die Leute sich nicht gewehrt? Wenn alle zusammen etwas unternommen hätten â¦Â« Xelias Stimme fehlte es an Ãberzeugung.
Hyronimus lachte milde, er wirkte angesichts Xelias erwartungsvoller Naivität alt und illusionslos. »Alle zusammen â so etwas gibt es im Spital nicht. Den meisten der Kranken geht es so schlecht, dass sie ganz abgestumpft sind gegenüber ihrem Elend und allen Ungerechtigkeiten. Die schauen nicht einmal mehr nach sich selbst,
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