Die Liebe des Kartographen: Roman
machen können. Eine Ausnahme gab es allerdings: die sechs Prüfmeister.
»Die Prüfmeister? Wer soll das gewesen sein?« Xeliakonnte sich nicht vorstellen, dass es im Spital auch nur eine Menschenseele gab, der es gut ging.
»Die hast du nicht zu Gesicht bekommen. Ihr Haus liegt am anderen Ende der Siedlung, hinter einer kleinen Lichtung im Birkenwäldchen. Marlene hat mit ihnen nichts zu schaffen. Die haben ihr eigenes Badehaus und auch ihre eigenen Mägde. Und zwar zwei Weiber für sechs Mann! Da wird gebadet, wann immer die Herren ihre fetten Ãrsche ins Wasser hieven wollen â und nicht nur einmal im Monat. Und welche Dienste die Weiber sonst noch leisten, darüber will ich gar nicht erst reden â¦Â« Adalberts Nase blähte sich vor Wut. »Auf deren Tischen steht Abend für Abend ein fetter Braten, auf ihrem Dinkelbrei schwimmt oben goldgelber Honig, und frieren muss von denen auch keiner. Ihre Kleidung ist vom feinsten Leinen.«
»Prüfmeister â das sind doch diejenigen, die feststellen, ob jemand aussätzig ist, nicht wahr?«, erinnerte Philip sich an Xelias Worte.
»Genau so ist es.« Hyronimusâ Augen verdunkelten sich, als ob in ihren Tiefen ein Gewitter im Anmarsch sei. »Das sind die sechs reichsten Spitalinsassen, die auÃerdem den Spitalrat bilden, der das tägliche Leben innerhalb der Mauern regelt.«
»Und warum leben die in Saus und Braus?«
»Sagen wir es einmal so: Wenn Wilhelm Pfeiffer der Kopf einer riesigen Krake ist, dann sind die sechs Prüfmeister ihre langen Arme.«
»Helfershelfer also. Aber wenn die Kranken nichts mehr haben, können die Prüfmeister ihnen doch auch nichts mehr aus der Tasche ziehen, oder?«
Xelia blies laut die Luft aus. »Ich ahne, was kommt â¦Â«
Hyronimus grinste sie an. »Du bist ein schlaues Kind und nicht so weltentrückt wie unser herzöglicher Kartograph hier!« Bevor Philip protestieren konnte, klärte Hyronimus ihn auf. »Die sechs verdienen sich ihren Wohlstand aufeine andere Art: Hin und wieder steht der Ausgang einer Sondersiechenschau schon fest, bevor sie überhaupt begonnen hat. Und zwar immer dann, wenn Wilhelm Pfeiffer dies so will.«
»Nein! Das glaube ich nicht!«, entfuhr es Philip.
»So? Und warum nicht?«
»Hyronimus haben sie doch auch des Aussatzes bezichtigt, obwohl er kerngesund ist«, warf Xelia ein.
Philip ignorierte sie. »Wer sollte ein Interesse daran haben, einen gesunden Menschen für immer hinter die Mauern des Spitals zu verbannen?«
Hyronimus lachte. »Da könnte ich dir gleich ein Dutzend Fälle aufzählen. Wie wärâs zum Beispiel mit einem zweitgeborenen Sohn, der nicht nur scharf ist auf den Hof seines älteren Bruders, sondern auch auf dessen junge rotwangige Frau, deren Brüste wie zwei steile Hügel in die Höhe streben? Oder wie wäre es mit einem Gastwirt, der nichts weiter hat als einen einfachen Fall von Krätze, der aber in den Augen seines weniger erfolgreichen Widerstreiters auf der anderen Seite der StraÃe viel zu viel Bier verkauft? Und dann gibt es da auch noch den Kaufmann, der zeit seines Lebens an einem Hautleiden litt, was sich als überaus praktisch erwies, als seine Frau ihn loswerden wollte, um sich einem durchreisenden Geschäftsmann zuzuwenden.« Adalbert schaute von einem zum andern. »So ist das. Lauter gesunde Menschen, zum Tode verdammt von ihren Nächsten.«
Philip fehlten die Worte. Er war fassungslos.
Fast schien es, als amüsiere sich Hyronimus über Philips Entsetzen. Er zuckte mit den Schultern. »Sag mir einen einfacheren Weg, jemanden loszuwerden. Es gibt keinen! Natürlich lassen die Hurensöhne sich ihr Urteil etwas kosten, aber die Leute zahlen selbst hohe Summen, wenn nur der ungeliebte Mensch ein für alle Mal verbannt ist.«
»Und sie selbst stehen auch noch gut da!«, sagte Xelia.»Wahrscheinlich werden sie sogar von den Nachbarn für ihr trauriges Schicksal bedauert, einen aus ihrem Kreis an den Aussatz verloren zu haben.«
»So ist es! Du musst doch zugeben, dass das allemal besser ist, als einen totzuschlagen und als Mörder dazustehen, oder?« Hyronimus bemerkte nicht, wie Xelia bei seinen Worten zusammenzuckte.
Philip jedoch drückte ihre Hand. »Unglaublich! Und damit kommen diese Teufel durch?«
»Warum nicht? Ein einstimmiges Urteil der Prüfmeister
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