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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Hyronimus zu besuchen. Dabei war jeder von ihnen selbst eine Koryphäe auf seinem Gebiet: Einer verstand sich besonders gut aufs Behandeln und Ziehen kranker Zähne, ein anderer schnitt und brannte wunde Körperteile so geschickt, dass in neun von zehn Fällen eine Heilung eintrat. Selbst Adalbert hatte in Tübingen schon von dem Mann gehört und fragte ihn nun nach Strich und Faden über dessen Techniken aus. Der Dritte von ihnen war im Grunde genommen gar kein Arzt, sondern tat nichts anderes, als mit den verschiedensten Mitteln zu experimentieren und immer neue Medikamente zu erfinden.
    Nachdem die Begrüßung mit viel Lärm und Durcheinander vonstatten gegangen und jedem der Männer eine Kammer zugeteilt worden war, gab es im Haus nur noch ein Gesprächsthema: die Gesundheit, oder besser gesagt, die Krankheiten der Menschen und deren Behandlung. Da Adalbert genauso wenig wie Xelia des Italienischen mächtig war, einigte man sich ihm zuliebe auf die deutsche Sprache, wovon natürlich auch Xelia profitierte. Ihre Augen und Ohren wurden immer größer, und der Nachmittag war noch nicht vergangen, da hatte sie sich schon mit einem der Männer in eine Ecke des Hauses verzogen.
    Philip nannte ihn den Pillendreher. Er hatte die Ankunft der Fremden mit Skepsis, um nicht zu sagen mit größtem Misstrauen beobachtet. Ärzte auf der Wanderschaft – da kamen ihm sofort die Quacksalber in den Sinn, die er auf seinem Weg durch Württemberg oftmals in den Städten angetroffen hatte. Auf den Marktplätzen hatten sie gestanden, Wagen an Wagen mit Bärentreibern, Huren und Wahrsagern hatten sie ihre Dienste angepriesen. Philip grauste es bei dem Gedanken, unter welch unsäglichen Bedingungen dabei Zähne gezogen, Wunden behandelt oder gar Gliedmaßen abgeschnitten worden waren. Er war immer so schnell wie möglich seines Weges gegangen, wenn er die farbigen Schilder solcher Ärzte gesehen hatte. Ärzte, pah! Abdecker waren das in seinen Augen. Und ob die drei, die laut ihren eigenen Angaben auf dem Weg ins englische Königreich waren, auch nur einen Deut besser waren, musste sich erst noch herausstellen!
    Noch während er im Stillen vor sich hin grollte, musste er zugeben, dass sein Missmut über die Besucher weder Hand noch Fuß hatte. Bei ihnen handelte es sich um äußerst gebildete Wissenschaftler, deren Gesellschaft er unter anderen Umständen sicher auch zu schätzen gewusst hätte. Es war nur so, er fühlte sich so … überflüssig! Das ewige Gerede über Krankheiten grauste ihn allmählich.
    Rastlos ging er hinters Haus in den Garten. Ausnahmsweise folgte ihm Lola. Da weder Guiseppa noch Adolf in der Nähe waren und sie somit jede Futterquelle versiegt sah, und da Xelia nur noch Augen für den fremden Mann hatte, erhoffte sie sich wenigstens von Philip ein wenig Abwechslung in ihrem Hundetag.
    Â»Dummes Tier!« Mit einem sanften Fußtritt jagte Philip den Hund davon. Er setzte sich auf die Bank an der Hausmauer und kam sich dabei vor wie ein alter Mann, der seine schlechte Laune pflegte wie andere das Vieh im Stall. Ober Nacht waren die Knospen der Magnolienbäume aufgebrochen, ihre Farbenglut vom zartesten Weiß bis zum tiefsten Lila sprang ihm ins Gesicht. Er schloss die Augen. Er wollte weder die Magnolienblüte noch das saftige Grün der jungen Baumwipfel sehen, und am liebsten hätte er sich auch noch die Ohren zugehalten, um das Vogelgezwitscher auszusperren. Irgendwie wäre es ihm lieber gewesen, es hätte in Strömen geregnet, oder der Winter wärenoch einmal zurückgekommen. Beides hätte viel besser zu seiner düsteren Stimmung gepasst. Doch ein Phänomen wie die eisigen Tage im Mai, die den schwäbischen Bauern alljährlich die Saat gefährdeten, gab es hier ja nicht! Hier war es schließlich fast das ganze Jahr über mild und warm und …
    Er wurde erst wieder wach, als ein kühler Schatten über sein Gesicht fiel.
    Â»Wo steckst du denn die ganze Zeit? Ich habe schon das Haus nach dir abgesucht!« Xelia setzte sich lachend neben ihn. Aus ihrem Zopf hatten sich etliche Strähnen gelöst und hingen ihr ins Gesicht. Sie sah erhitzt und in Eile aus.
    Â»Wer’s glaubt, wird selig!«
    Â»Wie meinst du das?«, fragte sie, immer noch lachend.
    Philip stand schweigend auf und ging zu der Mauer, hinter der die Straße lag.
    Xelia ging ihm nach.

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