in ihrem Brief an. Und ob! Es dauerte nicht lang und ich hatte Feuer gefangen â das Dorf der Samenhändler ist nämlich wirklich etwas Einmaliges:
Im Jahr 1850 lebte ganz Gönningen vom Handel mit Sämereien und Tulpenzwiebeln. Die Gönninger waren »Weltmarktführer« auf diesem Gebiet und bereisten die ganze Erde. Der Handel war anstrengend und oftmals lebensgefährlich, aber die meisten Gönninger konnten gut davon leben. Kein Wunder, dass das Dorf mit seinen villenartigen Häusern und vielen Geschäften einen fast groÃstädtischen Charakter innehatte â als einfache Dörfler sahen sich die weit gereisten Gönninger keineswegs! In der SamenhandelsstraÃe ist ein Teil dieser Häuser auch heute noch erhalten. Nicht erhalten sind die über tausend Samenhändler. Nur noch eine Handvoll Familienbetriebe leben von diesem Jahrhunderte alten Handel, was nicht zuletzt uns Verbrauchern »anzulasten« ist: Wer hat noch Zeit und MuÃe, seinen Salat im Garten selbst auszusäen? Wessen Daumen ist noch grün genug, um sich an der Aufzucht von Gartenblumen zu versuchen? Die meisten verlassen sich doch eher auf ausgewachsene Kaufware aus dem Gartencenter. Dabei ist es gar nicht so schwer, aus einem Päckchen Ringelblumensamen Töpfe oder Beete voller goldgelber Blumen zu ziehen! Und wem weder Garten noch Balkon zur Verfügung steht, der kann aus einemSamenpäckchen immer noch auf der Fensterbank eine Schale mit scharfer Kresse züchten! Mich, eine eher faule Gärtnerin, haben die Recherchen zur Samenhändlerin in punkto Sämereien jedenfalls wesentlich experimentierfreudiger gemacht â und dank der guten Gönninger Beratung waren meine Versuche meistens erfolgreich!
Von der Jahrhunderte alten Samenhandelstradition legt heutzutage vor allem das Samenhandelsmuseum Zeugnis ab. Es ist im Rathaus der Gemeinde untergebracht und zeigt Gegenstände aus der einzigartigen Händlertradition des Ortes. Neben vielen Dokumenten und Zeugnissen, die die Handelsreisen der Gönninger in Europa und darüber hinaus belegen, ist eine Wand fast völlig von einer riesengroÃen Weltkarte eingenommen. Auf ihr sind die Handelswege der Gönninger markiert. Unfassbar, wie weit nicht nur die beiden Brüder Helmut und Valentin Kerner aus der Samenhändlerin gereist sind! Was mich besonders fasziniert, ist der Nachbau einer historischen Packstube â der Duft der Sämereien, die dort ebenfalls ausgestellt werden, durchzieht das ganze Museum!
Das Museum hat folgendermaÃen geöffnet:
Montag bis Freitag von 8â12 Uhr, auÃerdem Montag von 14â17 Uhr und Donnerstag von 14â18 Uhr. Individuelle Führungen sind auf Anfrage möglich.
Samenhandelsmuseum Gönningen
Stöfflerplatz 2
72770 Reutlingen
Tel.: 070Â 72 /70 26
Fax: 070Â 72/60123
E-Mail:
[email protected] Wenn man schon einmal in Gönningen ist, sollte man es nicht versäumen, einen Blick in die evangelische Dorfkirche zu werfen: Dort erinnert das Samenhändlerdenkmal an die vielen Samenhändlerinnen und -händler, die von ihren Reisen nach Gönningen nicht mehr zurückkehrten, sondern aufgrund von Krankheiten, Unfällen, Morden und Selbstmorden in der Fremde verstarben. Ãbrigens: Die Art und Weise, wie gleich im ersten Kapitel der Samenhändlerin Seraphines Vater zu Tode kam, ist von mir nicht erfunden worden, sondern ebenfalls historisch belegt. Manchmal schreibt das Leben die spannendsten Geschichten!
Wer es einrichten kann, sollte seinen Besuch in die Zeit von Mitte April bis Anfang/Mitte Mai legen. Zu dieser Zeit stehen sämtliche Streuobstwiesen rund um das Dorf in voller Blüte, so dass schon die Anfahrt zur wahren Freude wird! Die vielen Apfel- und Birnbäume waren einstmals das erste, was Hannah auf ihrem Weg nach Gönningen ins Auge stach. Den Besuchern von heute geht es nicht anders. AuÃerdem findet zu dieser Zeit auf dem Friedhof die Gönninger Tulpenblüte statt, die für Blumen-, insbesondere Tulpenliebhaber ein besonderer Augenschmaus ist. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist es in Gönningen Tradition, den Verstorbenen das Schönste aufs Grab zu legen, was das Samenhändlersortiment zu bieten hat â in früheren Zeiten waren das die teuer gehandelten Tulpen! Bei dieser prachtvollen Gräberbepflanzung versuchte jeder, den anderen zu übertrumpfen, der eigene