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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Nörgeleien und Eigenheiten leben zu müssen. Doch Hyronimus’ Meinung war ihm wichtig. Sein Lehrherr hatte es zwar selbst weder zu Ruhm noch zu Ehren gebracht, doch lag dies einzig und allein daran, dass Adalbert Hyronimus sich von der Kartographie abgewandt hatte und nun kranke Menschen behandelte. Doch bis zum heutigen Tag hatte Philip keinen anderen getroffen, der mit so viel Scharfsinn und Erfindungsgeist an die herkömmliche Vermessungslehre herangetreten war und sie durch neue ausgefeiltere Methoden ergänzt hatte. Durch ein von ihm entworfenes Instrument waren Messungen horizontaler und vertikaler Winkel möglich geworden, was beim Errechnen von Distanzen äußerst hilfreich war. Dreiecksberechnungen unter Zuhilfenahme von Sinustafeln – von vielen Kartographen lange geschmäht und vermieden – hatten schon vor Jahren zu Hyronimus’ Repertoire gehört, welches er seinen Schülern als Handwerkszeug mit auf den Weg gab. Hyronimus war zwar in mancher Hinsicht ein komischer Kauz, und sie waren sich bei weitem nicht immer einig gewesen in ihrer Sicht der Dinge, aber Philip hatte ihm viel zu verdanken. Das war ihm auf seiner Reise klargeworden und genau das wollte er ihm während seines Besuchs in Blaubeuren sagen.
    Er lächelte. Hyronimus würde Augen machen, wenn er so einfach bei ihm hereinspazierte! Er hatte zwar seinen Besuch schon vor seiner Abreise in Tübingen angekündigt, doch keinen genauen Zeitpunkt genannt. Mit einem Ruck stand er nun auf, rüttelte an Alois’ Zügeln und marschierte in Richtung Stadttor.
    Nachdem der Wachposten seinen herzöglichen Passierschein Wort für Wort kontrolliert hatte, wurde das schwere Eichentor geöffnet und Philip eingelassen. Doch bevor er weiterging, fragte er nach Hyronimus’ Adresse.
    Der Mann trat einen Schritt zurück. »Der Arzt von den Sondersiechen?«
    Philip zuckte mit den Schultern. »Adalbert Hyronimus meine ich.« Es konnte doch wohl nicht mehrere Männer gleichen Namens in der Stadt geben?
    Â»Den suchen Sie hier umsonst! Der schafft doch draußen im Spital bei den Aussätzigen, vor den Toren der Stadt.« Der Mann trat einen Schritt zurück. Seine Augen wurden klein und kritisch. »Sie sind doch nicht etwa so einer?«
    Â»Du liebe Güte! Wie kommen Sie denn darauf?« Philip war völlig verwirrt.
    Jetzt war es an dem Wachmann, mit den Schultern zu zucken. »Man kann’s nicht wissen. Seit es das Spital gibt, treibt sich allerlei Gesindel in der Gegend rum. Man muss vorsichtig sein!«, fügte er rechtfertigend hinzu. »Wenn Sie nicht krank sind, was wollen Sie dann dort, hä?«
    Das fragte sich Philip auch! »Ich … habe nicht gewusst, dass Hyronimus bei den Aussätzigen arbeitet.« Ihn schüttelte es allein bei dem Wort. »Er … er ist mein alter Lehrherr. Ich wollte ihn eigentlich besuchen …« Er war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, ob er das wollte. Philip drehte Alois wieder in Richtung Stadtausgang und ging steif wie eine Holzpuppe und ohne ein weiteres Wort davon.
    Â»Zum Spital müssen Sie den ersten Weg links nehmen!«, rief der Wachmann ihm hinterher.
    Nach wenigen Minuten fand Philip sich auf dem Baumstamm wieder, auf dem er schon zuvor gerastet hatte. Er fühlte sich wie eine Eidechse, die durch die einbrechende Kälte des Herbstes in ihren Bewegungen wie gelähmt war, so sehr betäubte ihn die Neuigkeit über Hyronimus’Tätigkeitsfeld. Dass der Arzt mit den Brüdern des nahe liegenden Benediktinerklosters zusammenarbeitete oder die Armen der Stadt pflegte, dass er sich auf ein besonderes medizinisches Gebiet wie das der Frauenheilkunde spezialisiert hatte oder Zulauf von nah und fern erfuhr – mit allem hatte Philip gerechnet. Nur damit nicht: Adalbert Hyronimus als Arzt in einem Spital der Aussätzigen!
    Â»Was mach’ ich jetzt?«, hörte er sich fragen. Alois schaute nicht auf, sondern zupfte weiter verdörrtes Gras. Nur um etwas zu tun, begann Philip, die Satteltaschen umzupacken. Seine Lust, den alten Meister wiederzusehen, war plötzlich zu einem Nichts zusammengeschrumpft, musste er feststellen. An ihre Stelle war vielmehr etwas anderes getreten – eine peinliche Berührtheit, Ablehnung, das Gefühl, etwas von sich abschütteln zu müssen. Er wusste nicht viel von der unheilvollen Krankheit, und er wollte auch gar nichts

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