Die Liebe des Kartographen: Roman
wie eine Frage hätte klingen können, war lediglich eine Feststellung. Natürlich hatte er mit seinem Vater geredet. Und Xelia wusste auch, welchen Ausgang dieses Gespräch genommen hatte. Sie wusste es und wollte es doch nicht wahrhaben.
Samuel nickte nur stumm vor sich hin.
»Und? Was hat er gesagt?« Sie konnte es ihm nicht leicht machen. Es ging um ihr Leben, wusste er das nicht?
Samuel schaute auf. »Er hat getobt wie ein wild gewordener Stier. So habe ich ihn noch nie erlebt. Es würde nicht angehen, dass ich eine mit anderem Glauben heirate, nie würde er das zulassen, hat er geschrien.«
Für einen kurzen Augenblick war Xelia wie vor den Kopf gestoÃen. Erst dann fiel ihr wieder ein, dass Samuel Jude war. Ãber ihre unterschiedlichen Religionen hatten sie nie gesprochen.
»Und? Was hast du zu ihm gesagt?« Ihre Stimme klang weniger herausfordernd, als sie gewollt hatte. Nur müde klang sie. Die Sonne, die die letzten Monate für sie vom Himmel gestrahlt hatte, verschwand endgültig hinter einem Berg dunkler Wolken.
»Was hätte ich denn sagen sollen? Dass es mir gleich ist, was mein Vater von meiner Brautwahl hält? Dass wir auf und davon ziehen werden? Dass ich sein Verbot einfach nicht befolgen werde?« Er lachte bitter.
Xelia hätte alle drei Antworten für gut befunden, sagte aber nichts. Samuel war an der Reihe. AuÃerdem arbeitete ihr Kopf im Augenblick langsamer, als ihr lieb war. Sie hörte zwar Samuels Stimme, was seine Worte jedoch bedeuteten, wollte einfach nicht zu ihr durchdringen.
»Du kennst Vater nicht. Was er will, das bekommt er auch. Und er hat es sich in den Kopf gesetzt, dass nur eine Jüdin als Frau für mich in Frage kommt. Dass er bereits eine ausgesucht hat, wusste ich allerdings nicht.« Samuel schüttelte den Kopf. Die jüngste Tochter eines Geschäftspartners aus Reutlingen sollte er heiraten, Leyla hieÃe sie, und ein Besuch in Reutlingen sei schon für kommenden Monat geplant. Beim Gedanken an das Gespräch mit seinem Vater begann er, erneut zu zittern.
»Und was bedeutet das für mich? Ich soll einfach zurück in diese stinkende Hölle und so tun, als ob nichts gewesen sei zwischen uns? Soll alles vergessen, was wir gesprochen und gefühlt haben?« Xelias Stimme klang schrill. »Warum gilt nur, was der Herr Tuchhändler will?Sind unsere Wünsche denn nichts wert?« Sie presste beide Hände an ihre Schläfen, wo es unter der Haut hämmerte und pochte, als würden Samuels befremdliche Worte gewaltsam Einlass suchen.
»Xelia! Was soll ich â¦Â« Seine tränenerstickte Stimme verstummte.
Weder Xelia noch Samuel hatten die groÃe Männergestalt näher kommen sehen, so sehr waren sie mit sich beschäftigt.
Lautlos wie ein Luchs hatte sich Xaver Feltlin angeschlichen und stand nun vor ihnen.
»Elendige Judenhure!« Mit der rechten Hand packte er Xelia am Genick wie einen Hund, mit der linken holte er zu einem Schlag aus, der mitten in ihrem Gesicht landete. Die dünne Haut über ihrem rechten Auge platzte, und Blut spritzte in tausend kleinen Sprenkeln über ihre Wangen. Für einen kurzen Augenblick blieb Xelia die Luft weg, und vor ihren Augen tanzten Sterne. Während sie krampfhaft versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, packte der Gerber Samuel. »Ich habâs schon lange geahnt. Mich betrügen und belügen! Das ist noch niemandem bekommen!« Eine böse Beschimpfung folgte der nächsten. Hilflos versuchte der Sohn des Tuchhändlers, sein Gesicht vor den Pranken des tobenden Mannes zu schützen. Xelia schrie auf Feltlin ein, unzusammenhängende, bedeutungslose Worte. Er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege und drosch erneut auf Samuel ein, der seinem Gegner nichts entgegenzusetzen hatte und nur noch wimmerte.
Was soll ich nur tun, was soll ich nur tun, hämmerte es immer wieder in Xelias Kopf. Gerade noch war es Samuel gewesen, der sie verletzt hatte. Doch innerhalb eines Lidaufschlags war aus ihm, der sie im Stich lassen wollte, wieder ihr Verbündeter geworden. Dem sie helfen musste! Verzweifelt griff Xelia nach einem abgebrochenen Ast und schlug damit auf Feltlins Arme ein. Doch statt ihr mehr Stärke zu verleihen, lähmte auch sie die Angst, und ihreSchläge vermochten nicht im Geringsten, Feltlin auÃer Kraft zu setzen. Stattdessen reizten sie ihn nur. Mit einem Brüllen wandte er
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