Die Liebe des Kartographen: Roman
Figur, seinen edlen Kleidern, von allem eben, was sie bisher nur aus der Ferne hatten bewundern können. Stumm hörte Xelia ihren Schwestern zu und machte dabei eine wichtige Entdeckung, die sie mehr als ein wenig erschreckte: Es war gar nicht Samuel selbst, der ihr Herz schneller schlagen lieÃ. Sie mochte ihn sehr, das schon. Aber er war vor allem die Möglichkeit, Feltlin zu entkommen. Vermutlich die Einzige, die sie je bekam.
Erregt rammte sie jetzt das Schabemesser in den Baumstamm und drehte sich zu Anna um. »Wartetâs nur ab, wenn ich erst mit Samuel verheiratet bin, dann hole ich euch zu mir! Dann kann er schauen, wo er bleibt!«
Anna stimmte zu: »Dann muss der Alte sehen, wo er bleibt mit seinen stinkenden Bottichen!« Ihrem Tonfall war jedoch anzuhören, dass sie weder an Xelias Glück, geschweige denn an ein eigenes glaubte. Trotzdem hellte sich ihre Miene ein wenig auf. »Im ganzen Dorf und auch in der Umgebung wird er niemanden finden, der verzweifelt genug ist, um bei ihm arbeiten zu wollen.«
»Warum sollte er auch? Warum sich die Hände mit Gerbsäure verbrennen und aus jeder Pore stinken wie ein Ochs, wo es doch dank Aaron Blaustein immer genügend Arbeit auf den Flachsfeldern gibt?«
Anna kicherte. »Das dürfte er nicht hören! Du weiÃt doch, wie er immer tönt: âºAbhängig sind sie, alle abhängig vom Juden!â¹ Erst gestern hat er das dem Webers Karl vor die FüÃe geschleudert, als der an unserem Haus vorbeikam. Und der Depp hat sich auch noch auf ein Gespräch mit ihm eingelassen!«
»Obâs das anderswo auch gibt? Dass ein ganzes Dorf mit dem Anbau von Flachs und der Herstellung von Leinen beschäftigt ist?« Plötzlich war diese Frage für Xeliasehr wichtig. SchlieÃlich würde sie bald zu der geachtetsten Familie weit und breit gehören!
Anna zuckte mit den Schultern. »Das glaubâ ich nicht. Sonst würden doch nicht jedes Jahr zur Erntezeit so viele Auswärtige zum Arbeiten kommen, oder?« Ihr Blick schweifte sehnsüchtig in die Ferne. »So gut hättâ ichâs auch gern! Die machen ihre Arbeit und werden dafür entlohnt. Seit Blaustein jedem Haus die gesamte Flachsernte abnimmt, gibtâs keinen Hunger mehr. Und gut zu zahlen scheint er auch, egal, was die Leutâ reden. Sonst könnten sie nicht so manierlich leben, oder?«
»Im Gegensatz zu uns«, stimmte Xelia ihr wütend zu. »Wir arbeiten uns die Finger wund, ohne je einen Heller zu sehen. Und was bei uns auf den Tisch kommt, ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.« Wie aufs Stichwort knurrte Annas Magen laut und deutlich, und sie mussten beide lachen.
Eine Zeit lang arbeiteten sie stumm weiter. Dann hub Xelia erneut an: »WeiÃt du, was mich dabei besonders ärgert?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr sie fort: »Dass kein einziger Mensch im Dorf dem Tuchhändler dankbar ist! Wann immer Blausteins Wagen vollbeladen mit Stoffballen durch die Gassen fährt, hetzen sie über ihn. Wie er sie übers Ohr haut. Und dass er sie schlecht bezahlt. Aber nicht ein Einziger tätâ ihm so was ins Gesicht sagen, ganz im Gegenteil: Jeder bemüht sich, nur recht freundlich zu sein.«
»Ja, und am schlimmsten von allen hetzt unser Vater!«
Xelia wollte gar nicht an Feltlins Schmähreden denken. Seine Abneigung gegen Blaustein hätte ihn eigentlich mit den anderen Dorfbewohnern vereinen müssen, doch das war nicht der Fall. Mochten sie Blaustein schon nicht sonderlich leiden â mit Xaver Feltlin, dem Gerber, wollten sie erst recht nichts zu tun haben!
»Wenn Vater wüsste, wie es um Samuel und mich steht â das wäre mein Ende«, flüsterte Xelia, und einAngstschauer lief ihr über den Rücken. Annas Augen waren ebenfalls vor Schreck geweitet. »Totschlagen tätâ der dich, noch bevor du einen Schritt aus dem Haus gemacht hättest! Du musst aufpassen, noch viel mehr als bisher! Feltlin darf erst etwas erfahren, wenn du weg bist.« Was dann los sein würde, daran wollte Anna noch nicht einmal denken. Wahrscheinlich würde er seine ganze Wut an ihr und Sybille auslassen!
Xelias Gedanken wanderten weiter, von einem düsteren Pfad zum nächsten. Aaron Blaustein mit seinem ganzen Reichtum hätte sich für seinen einzigen Sohn garantiert eine bessere Partie gewünscht als eine Gerberstochter. Doch Samuel war sich
Weitere Kostenlose Bücher