Die Liebe des Kartographen: Roman
sicher, dass sein Vater umzustimmen war, vor allem, wenn er Xelia erst einmal kennengelernt hatte. Wie es allerdings zu einem Treffen zwischen ihnen kommen sollte, war Xelia bislang unklar. Es gab für Aaron Blaustein nicht den geringsten Anlass, mit dem Gerber und seiner Familie zusammenzukommen. Aber Samuel würde etwas einfallen, da war Xelia sich sicher. Ihm musste einfach etwas einfallen.
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A uf den Tag genau eine Woche nach seiner Abreise aus Anstetten kam Philip vor den Toren Blaubeurens an. Bevor er in die Stadt einritt, packte er sein Kartenmaterial und seine Messgeräte in Aloisâ Satteltaschen und gönnte sich einen Moment des Nichtstuns. Während er auf einem umgefallenen Baumstamm saÃ, ritten oder fuhren unentwegt Reisende an ihm vorbei, auf dem Weg ins nahe gelegene Kloster oder zum städtischen Markt. Kein Baum, kein dicker Moosboden dämpfte hier das Hufgeklapper und die lauten Zurufe von einem Wagen zum anderen, und es tönte laut und fast störend in Philips Ohren.
Die letzten zwei Nächte hatte er im Blaubeurener Forst unter freiem Himmel verbracht und dabei auÃerordentlich gut geschlafen. Zu Beginn seiner Reise hätte er keine Stunde ohne ein Dach überm Kopf durchschlafen können. Inzwischen fühlte er sich drauÃen in der Natur nicht mehr unwohl, ganz im Gegenteil. Lieber schlief er in seine Decke gehüllt auf dem Waldboden als in einer verlausten, engen Hütte mitsamt ihren schnarchenden, stinkenden Bewohnern! AuÃerdem hatte er aus Gesprächen mit vorbeifahrenden Reisenden erfahren, dass keine Wegelagerer oder Räuber zu fürchten waren, die ihm nachts hätten auflauern können. Das war im Grunde verwunderlich, denn die StraÃe durch den Wald war â als Verbindung zwischen Urach und Blaubeuren â stark befahren, und so hätten Räuber angesichts der vollbeladenen Fuhrwerke eigentlich auf eine gute Beute hoffen können. Philip war jedenfalls erleichtert gewesen zu hören, dass der Wald sicher war. Jeder, der vorbeikam, hatte ein paar Worte mit ihm wechseln wollen â was er hier tat und wozu seine Geräte gut seien. Zuerst hatte Philip Mühe gehabt, diegurgelnden Dialekte der Albler zu verstehen, doch bald hatte er sich an deren etwas grobschlächtige Sprechweise gewöhnt. Nachdem er die gut gemeinten Fragen so einfach und knapp wie möglich beantwortet hatte, war es an ihm gewesen, Fragen zu stellen: Hatte der Hügel mit den vertrockneten Disteln einen besonderen Namen? War die Brücke über den Fluss, der sich quer durch den Forst schlängelte, auch im Winter befahrbar? Gab es eine andere Strecke, um den nicht unerheblichen Brückenzoll von einem Pfennig pro Pferd und Reiter zu umgehen? Kaufleute, Postillions und Boten â alle hatten seine Fragen bereitwillig beantwortet, und er hatte sich eifrig Notizen gemacht.
Sein Magen knurrte laut und lange und erinnerte ihn daran, dass er seit dem frühen Morgen keinen Bissen mehr zu sich genommen hatte. Philip stand auf und wischte den Staub von seinem Hosenboden ab. Heute wollte er nur noch eines: Nach einer warmen Mahlzeit bei einem Krug Wein â oder auch zweien â mit Adalbert Hyronimus die Nacht durchreden. Hoffentlich würde er ihn antreffen, und hoffentlich hatte sein alter Lehrherr Zeit für ihn! Philip war ganz versessen danach, ihm seine bisherigen Vermessungen zu unterbreiten.
Er war sich der Qualität seiner Arbeit ziemlich sicher und gehörte nicht zu den Gelehrten, die Schulterklopfen und Lobhudeleien benötigten wie das tägliche Brot. Dazu eignete sich die Kartographie auch weniger als beispielsweise das Verfassen von Gesetzen und Verordnungen. Kaum waren dabei zwei oder drei Bögen Papier voll geschrieben, konnten diese vom Herzog verabschiedet werden und als Gesetz in Kraft treten â ein kurzer Vorgang also. Wurde ihm dagegen ein Auftrag erteilt, wusste jeder, dass es sich um eine langwierige Angelegenheit handelte, die Monate oder Jahre, ja, auch ein ganzes Menschenleben in Anspruch nehmen konnte. Niemand erwartete von ihmschnelle Ergebnisse, es gab keine Kontrolle, sondern blindes Vertrauen in seinen Fleià und seine Selbstdisziplin. Das einsame Vor-sich-hin-Arbeiten war ein Grund, warum Philip die Kartographie zu seinem Lebensinhalt erkoren hatte. Es wäre ihm lästig gewesen, sich täglich dem Arbeitsrhythmus anderer anzupassen, mit deren Eifersüchteleien,
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