Die Liebe des Kartographen: Roman
besudelt wurde? Nicht mehr anlangen würde er sie, geschweige denn eine Freude an ihr haben! Feltlins andere Grobheiten hatte er jedoch mitbekommen. Nicht immer trafen seine Schläge nur dorthin, wo dieMädchen die Folgen geschickt durch einen Schal oder eine Jacke verbergen konnten. Hatte Samuel beim Anblick von Xelias blaugeprügeltem und zugeschwollenem Auge noch hilflos dagestanden und in seiner Verwirrung sogar ihren Trost heraufbeschworen, so war er bei jeder weiteren Misshandlung immer wütender geworden. Er, der keiner Fliege etwas zuleid tat, verstand einfach nicht, wie ein Mann einem Weib solche Gewalt antun konnte. Xelia schwieg dazu. Hätte sie den Gerber etwa weiterhin in Schutz nehmen sollen? Sie spürte jedoch, dass ihre Verletzungen in Samuel etwas ausgelöst hatten: Als Sohn des einflussreichsten Mannes der ganzen Gegend hatte er sich noch nie um irgendetwas kümmern müssen. Jede Entscheidung wurde ihm abgenommen, sei es vom Vater oder den dienstbaren Geistern des Hauses. Plötzlich war dies anders: Xelia traf sich nur mit ihm, mit niemand anderem. Nur er wusste von ihren Qualen. Xelia war einzig und allein seine Angelegenheit. Er war für sie verantwortlich. Dabei hatte sie sich nie beklagt. Mit keinem einzigen Laut den Wunsch geäuÃert, der Gerberei entfliehen zu können. Das war aber auch nicht nötig gewesen. Der Gedanke an Xelias geschundenen Körper â und die Freude, die dieser Körper ihm trotz seiner erlittenen Qualen bereitete â lieà ihn bald nicht mehr los. Im Sommer schlieÃlich stand für ihn fest: Er würde Xelia retten. Zuerst hatte er nur vage Andeutungen über die Zukunft gemacht, gerade so, als traue er sich selbst und seinen eigenen Plänen nicht. Dann aber war er immer konkreter geworden, hatte gemeint, etwas müsse sich ändern, so könne Xelia nicht weiterleben, er würde ihr helfen.
Und Xelia hatte begonnen zu hoffen. Nun sah es so aus, als würde sich ihre Hoffnung bald erfüllen.
Sie schaute zu Anna hinüber, die mit verkniffenem Mund Rindenstücke vom unteren Teil des Stammes schälte. In der gebückten Haltung stachen ihre Schulterknochen hervor, als seien sie ganz fleischlos, und der Rücken dazwischenwölbte sich unnatürlich. Bald würde Anna einen Buckel haben, dabei war sie fast zwei Jahre jünger als Xelia! Sie hätte vor Wut schreien können. Der Gerber betrog sie alle um ihre Jugend, um ihr Leben.
Während andere Dörflerinnen sich auf die Sonnwendfeier und den Tanz freuten, standen die Gerberstöchter Tag für Tag über die Laugenfässer gebeugt, um die eingeweichten Tierhäute zu wenden. Während die Dorfmädchen den Burschen auf den Feldern schöne Augen machten, kratzten sie Fleischreste von den aufgespannten Fellen. Während in den Spinnstuben gelacht und gesungen wurde, trieb der stechende Geruch der Gerberbottiche ihnen die Tränen in die Augen. Besucher hatten sie auch nie, die fertigen Lederstücke brachte Xaver Feltlin stets eigenhändig zum Verkauf nach Ulm. Kein Bursche weit und breit hatte auch nur einen Blick für die Mädchen aus der Gerberei übrig. Wer wollte schon etwas mit einer Gerberstochter zu tun haben? Samuel, flüsterte eine fast ungläubige Stimme in ihrem Inneren, die sie erschauern lieÃ. Mit jeder anderen hätte Samuel es einfacher gehabt, jeder Vater im Dorf wäre stolz gewesen, wenn der Sohn des reichen Juden ein Auge auf seine Tochter geworfen hätte. Aber nein, er wollte sie, Xelia, die Tochter von Xaver Feltlin. Und Samuel war es gleich, ob Xelia aus einer Gerberei oder einem Schloss kam!
Erst vor ein paar Tagen hatte Xelia ihre beiden Schwestern in ihre Heimlichkeiten eingeweiht. Just zu diesem Zeitpunkt war der Gerber unterwegs nach Ulm gewesen, so dass sie den ganzen Tag ungestört waren. Immer wieder hatte sie jede noch so kleine Einzelheit über Samuel und ihre heimlichen Zusammenkünfte erzählen müssen. Wie sie ihn kennengelernt hatte. Wie er aussah. Was er erzählte. Sybilles Augen schienen vor Staunen fast überzugehen, und Anna war immer sprachloser geworden, so wenig hatten die beiden zuerst glauben können, was Xeliaihnen da erzählte. Xelia und der Sohn des Tuchmachers! Also gab es doch Feen auf der Schwäbischen Alb. Ausgehungert nach schönen Gefühlen, gerieten die beiden ins Schwärmen. Von Samuels feinen Gesichtszügen, seiner stattlichen
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