Die Liebe des Kartographen: Roman
ohnmächtig.
Verkrampft lag Xelia neben dem Fremden in der Höhle und lauschte seinem Stöhnen. Sie wagte kaum zu atmen. Wann würde er aufwachen? Einerseits hoffte sie, es möge so bald wie möglich geschehen, andererseits hätte sie den Augenblick am liebsten eigenmächtig so lange wie möglich hinausgeschoben. Was sollte nämlich dann geschehen?
Sie musste sein Bein behandeln, eine Auflage aus zerquetschten Kräutern machen und das Ganze mit einem passenden Ast schienen, damit die zerbrochenen Knochen wieder zusammenwachsen konnten. Aber genau darin lag das Problem! Es würde Wochen dauern, bis er wieder gehen konnte. Das hieÃ, nicht nur er war an die Höhle gefesselt, sondern sie auch! Verdammt noch mal! Sie hatte ihre Flucht tatsächlich so lange aufgeschoben, bis es zu spät war. Jetzt saà sie in der Falle. Xelia spürte, wie ihre Kehle eng wurde und heiÃe Tränen emporstiegen, die sie sofort zu einem fast lautlosen Gurgeln erstickte. Sie wollte ihn nicht wecken. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken.
Mit Mühe hatte sie den Mann schlieÃlich doch über den regenschweren Waldboden zu ihrer Höhle gezogen. Ihre Arme und Handgelenke schmerzten noch immer davon. Dann war sie noch einmal zurückgegangen, um den Gaul zu holen. Sie hatte ihm gerade die Satteltaschen abgenommen und wollte ihn vor der Höhle anbinden, als ein Blitz direkt neben ihnen durch die Bäume schoss. Noch bevor Xelia irgendetwas tun konnte, war das Vieh in Panik mit weiten Galoppsprüngen in Richtung der Flachsfelder davongestürmt.
Aber vielleicht war es doch noch in der Nähe? Sobald es hell war, würde sie den Wald nach ihm absuchen.
Warum hast du den Fremden nicht einfach seinem Schicksal überlassen?, fragte eine keifende Stimme in ihrem Inneren nicht zum ersten Mal. Es war doch Sommer, er wäre schon nicht erfroren! Am nächsten Morgen hätte ihn sicher jemand gefunden, und sie hätte sich all die Mühe erspart! Aber nun? Womöglich hätte im Dorf und in der ganzen Umgebung ihm niemand mit seinem gebrochenen Bein helfen können, regte sich eine andere Stimme in ihr. Ohne ihre Hilfe wäre er vielleicht für immer ein Krüppel geblieben!
Am nächsten Morgen wollte sie Kräuter sammeln für sein Bein. Und Beeren für ihr Frühstück. Von nun an musste sie Nahrung für zwei beschaffen. Als ob es für sie allein nicht schon schwer genug war! Und noch eine Frage schoss ihr plötzlich siedend heià durch den Sinn: Wo und wie würde der Mann seine Notdurft verrichten?
Sie spürte erneut Verzweiflung in sich emporsteigen und steckte ihre geballte Faust so fest wie möglich in den Mund, um nicht laut loszuheulen. Warum hatte sie sich alle diese Fragen nicht gestellt, bevor sie diese Dummheit begangen hatte? Sie würde den Fremden pflegen müssen wie einen Säugling. Und wofür? Dafür, dass er sie bei der nächstbesten Gelegenheit verraten würde.
Am folgenden Morgen blitzte der Himmel wieder strahlend blau durch die dichten Baumwipfel. Der Regen der letzten Nacht war längst im Boden versickert. Nur eine weiÃe Schicht aufsteigender Wasserdampf direkt über dem Erdreich zeugte noch von den Wassermassen, die in der Nacht niedergegangen waren. Die Vögel sangen ihre Sommerlieder wie eh und je, und selbst zwischen den dicht stehenden Bäumen war schon zu spüren, dass es ein heiÃer Tag werden würde.
Angespannt versuchte Xelia, hinter der Höhle ihre Notdurft zu verrichten. Das Pferd war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich hatte es sich schon längst einer aus dem Dorf unter den Nagel gerissen.
Als sie aufgestanden war, hatte der Fremde noch geschlafen. Wenn er aufwachte, wollte sie da sein, deshalb verkniff sie es sich, zum Bach zu laufen, obwohl ihr Leib nach der Anstrengung der letzten Nacht ganz klebrig war mit altem SchweiÃ.
Vor dem Eingang zu ihrem Versteck blieb sie stehen und zwang sich, ihre Brust mit der kühlen Waldluft zu füllen. Zu zweit war es in der Höhle stickig und eng. Wahrscheinlich würde sie nicht umhinkommen, den Vorhang, den sie in mühevoller Arbeit aus Asten, Schlingen und Wurzeln geflochten hatte, zur Seite zu schieben. Dann hätten sie zwar etwas mehr Luft zum Atmen, dafür auch weniger Schutz vor dem Entdecktwerden. Abermals verfluchte sie ihre Entscheidung, den Fremden mit hierherzunehmen.
Ihre Knochen schmerzten, als hätte sie auf dem harten
Weitere Kostenlose Bücher