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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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doch wenigstens nach seiner Leiche suchen, oder?
    Hier findet dich keiner, flüsterte eine leise Stimme ihm tief drinnen zu. Und außerdem: Wer waren denn »die«? Wer sollte nach ihm suchen? Er wurde doch von niemandem vermisst. Niemandem hatte er seine Pläne bezüglich der Wegstrecke mitgeteilt. In Stuttgart wurde er frühestens im November erwartet, wenn er dort über die kalte Jahreszeit sein Winterdomizil aufschlagen würde. Wer in aller Welt sollte also jetzt nach ihm suchen …
    Noch ehe er diesen schrecklichen Gedanken zu Ende gedacht hatte, spürte er etwas Warmes, Weiches unter sich. Nein! Nicht das! Er hatte wie ein hilfloses Brustkind in die Hose gemacht. Und nun liefen ihm auch noch Tränen übers Gesicht! Hilflose, wütende, heiße Tränen, die er hasserfüllt wegzustreichen versuchte, bevor die Hexe wieder zurückkam.

~ 19 ~
    E s war wieder Abend. Der Fremde – sie wusste immer noch nicht seinen Namen! – war jetzt schon eine ganze Nacht und einen ganzen Tag in ihrer Höhle. Nachdem er sich zuerst vehement dagegen gewehrt hatte, von ihr behandelt zu werden – ohne Erfolg, versteht sich –, war er am späten Nachmittag eingeschlafen. Welch himmlische Ruhe herrschte jetzt, nach all seinem Gezeter! Wenn er sich wenigstens freundlich mit ihr unterhalten würde! Aber nein, sein Ton war stets ruppig und kurz angebunden. Meist hatte er mit ihr gestritten, wollte zum hundertsten Mal wissen, warum ihr das Pferd davongelaufen war, warum sie ihn nicht wegließ und warum sie hier hauste. Auf keine der Fragen konnte sie ihm eine Antwort geben, die ihn zufriedenstellte. Wenn er sie anschaute – meist schaute er sowieso an ihr vorbei –, dann sah er nicht sie, Xelia, die Heilerin, sondern eine dreckige, in Lumpen gekleidete Räuberin, die ihn gefangen hielt. Argwöhnisch beobachtete er jeden ihrer Handgriffe, als wolle sie ihm im nächsten Augenblick etwas antun.
    Dieses ewige Beobachtetwerden störte Xelia sehr. Nun, da er schlief, konnte sie den Spieß umdrehen und zur Abwechslung einmal ihn beobachten. Bedächtig aß sie dabei die Brombeeren, die sie zuvor gesammelt hatte. Da sie nun für zwei sorgen musste, hatte sie sich überwunden und war an den Waldrand gegangen, um die Beeren zu pflücken. Was eine halbe Ewigkeit gedauert hatte, denn nach jeder Hand voll hatte sie sich umgedreht und argwöhnische Blicke in alle Richtungen geschickt, um sich gleich verstecken zu können, falls jemand auftauchte. Doch sie hatte Glück gehabt. Niemand war vorbeigekommen, und sie war mit einer ganzen Schürze voller rotschwarzer Früchtezurückgekehrt. Der süße Geschmack war eine angenehme Abwechslung zu den bitter schmeckenden Kräutern, aus denen ihre Mahlzeiten sonst hauptsächlich bestanden. Sie hätte ihm bereitwillig die Hälfte davon abgegeben, aber bitte, wenn der feine Herr nicht wollte!
    Seit sie ihn in der Nacht zuvor hierhergeschleppt hatte, hatte er nichts gegessen oder getrunken. Andere menschliche Bedürfnisse schien er auch nicht zu verspüren, obwohl … der säuerliche Geruch, der von ihm ausging, konnte eigentlich nur bedeuten … Dafür war er sich anscheinend nicht zu fein!
    Wie trügerisch der Schlaf doch sein konnte. Der Mann sah sanft und freundlich aus. Seine Gesichtszüge waren völlig entspannt, seine Lippen ein wenig geöffnet, nur sein Kinn war genauso stur nach vorne gerichtet wie im wachen Zustand. Xelia glaubte daran etwas vom Starrsinn dieses Mannes ablesen zu können. Er sah keineswegs so verlebt aus wie die Männer aus dem Dorf oder gar Feltlin, Gott bewahre, in seinem Gesicht waren nur erst feine Linien zu sehen. Er sah aus wie ein Mann, der ohne größere Sorgen, Krankheiten oder Hungersnot in aller Ruhe hatte erwachsen werden können. Der mit sich und seinem Leben – seine jetzige Lage einmal ausgenommen – zufrieden war. Warum nur war ihr nicht das gleiche Glück vergönnt gewesen? Sie stopfte sich drei Brombeeren auf einmal in den Mund und versuchte, sie so lange wie nur möglich auf der Zunge zu halten.
    Dann wischte sie ihre Hände an der Schürze ab, die sich klebrig und rau anfühlte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bad im Bach! Eintauchen, den Schweiß und Schmutz der Höhle abwaschen, so lange unter Wasser zu bleiben, wie sie es aushielt … Doch das musste sie

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