Die Liebe des letzten Tycoon
Kardiographen, eine Art überdimensionalen Koffer, mitgebracht hatte, den Stahr den Lügendetektor nannte. Stahr machte den Oberkörper frei, und die wöchentliche Untersuchung begann.
»Wie ist es Ihnen ergangen?«
»Keine besonderen Vorkommnisse«, sagte Stahr.
[179] »Viel gearbeitet? Genug geschlafen?«
»Nein, fünf Stunden ungefähr. Wenn ich früh ins Bett gehe, liege ich da nur rum.«
»Nehmen Sie die Schlaftabletten?«
»Von den gelben bekomme ich einen Kater.«
»Dann nehmen Sie zwei rote.«
»Die sind ein Alptraum.«
»Nehmen Sie von jeder eine, die gelbe zuerst.«
»Schön, ich versuch’s mal. Und wie geht’s Ihnen?«
»Ich pflege mich, Monroe. Ich schone mich.«
»Den Teufel tun Sie! Manchmal sind Sie die ganze Nacht auf.«
»Dafür verschlafe ich dann den ganzen nächsten Tag.«
Nach zehn Minuten sagte Baer:
»Scheint okay zu sein. Der Blutdruck ist um fünf Millimeter rauf.«
»Gut«, sagte Stahr. »Das ist doch gut, oder?«
»Ja, durchaus. Ich entwickle das Kardiogramm noch heute Abend. Wann verreisen Sie mit mir?«
»Irgendwann mal«, sagte Stahr leichthin. »In sechs Wochen wird es ruhiger.«
Baer betrachtete ihn mit der echten Zuneigung, die sich im Lauf von drei Jahren herausgebildet hatte.
»Im Jahre dreiunddreißig, als Sie liegen mussten, ging’s Ihnen hinterher besser«, sagte er. »Und wenn es nur drei Wochen waren.«
»Das mach ich wieder mal.«
Das macht er nie, dachte Baer. Mit Minnas Hilfe hatte er ihm vor Jahren ein paar kurze Ruhepausen abgetrotzt, und in letzter Zeit hatte er vorsichtig versucht zu erfahren, [180] wer Stahr nahestand, wer ihn von hier würde wegschleppen und eine Weile fernhalten können. Wahrscheinlich war es aber ohnehin sinnlos. Er würde jetzt sehr bald sterben. In einem halben Jahr konnte man etwas Endgültiges sagen. Was nützte es, die Kardiogramme zu entwickeln? Von einem Mann wie Stahr konnte man nicht verlangen, dass er alles hinwarf, sich ins Bett legte und ein halbes Jahr den Himmel anstarrte, da war ihm der Tod lieber. Sein eigentliches Leiden war – auch wenn er das leugnete – die Sucht, bis zur völligen Verausgabung zu arbeiten, was er nicht zum ersten Mal geschafft hatte. Erschöpfung war Gift wie Droge, und Stahr bereitete es ein seltenes, fast körperliches Vergnügen, sich in einen Taumel der Erschöpfung hineinzusteigern. Es war eine Perversion der Vitalität, die der Arzt schon von anderen Fällen kannte, aber er hatte es praktisch aufgegeben, dabei einzugreifen. Er hatte so manchen Patienten behandelt, bei dem er einen fragwürdigen Sieg über den Tod errungen und nur die Hülle gerettet hatte.
»Sie halten sich ordentlich«, sagte er.
Sie wechselten einen Blick. Ob Stahr wusste, wie es um ihn stand? Vermutlich. Nur den Zeitpunkt kannte er nicht, wusste nicht, wie bald es nun so weit sein würde.
»Mehr kann ich wohl nicht verlangen«, sagte Stahr.
Der Farbige hatte seinen Apparat wieder eingepackt.
»Nächste Woche zur gleichen Zeit?«
»Okay, Bill«, sagte Stahr. »Wiedersehen.«
Während die Tür sich schloss, schaltete Stahr den Diktographen ein. Sofort meldete sich Miss Doolan.
»Kennen Sie eine Miss Kathleen Moore?«
»Wie meinen Sie?«, fragte er bestürzt zurück.
[181] »Eine Miss Kathleen Moore ist am Apparat. Sie hätten um ihren Anruf gebeten, sagt sie.«
»Herrgott noch mal!« Er war empört und beglückt zugleich. Fünf Tage waren vergangen. So ging das doch nicht!
»Ist sie noch in der Leitung?«
»Ja.«
»Stellen Sie durch.«
Dann war die Stimme ganz nah.
»Bist du verheiratet?«, fragte er leise und unwirsch.
»Noch nicht.«
Seine Erinnerung zeichnete ihr Gesicht, ihre Figur nach. Als er sich setzte, schien es, als lehnte sie sich über seinen Schreibtisch, bis sie auf Augenhöhe mit ihm war.
»Was gibt’s?«, fragte er unverändert unwirsch, so schwer ihm dieser Ton auch fiel.
»Du hast den Brief bekommen?«
»Ja. Er ist noch am gleichen Abend aufgetaucht.«
»Darüber möchte ich mit dir reden.«
Jetzt hatte er sich endlich für eine Pose entschieden: Er war entrüstet. »Was gibt es da zu reden?«
»Ich habe versucht, dir noch einen Brief zu schreiben, aber er wollte sich nicht schreiben lassen.«
»Ich weiß.«
Eine Pause.
»Komm, sei nicht so«, sagte sie unerwartet. »Das sieht dir nicht ähnlich. Ich spreche doch mit Stahr? Diesem wirklich netten Mr. Stahr?«
»Ich bin etwas verstimmt«, erklärte er fast gespreizt. »Wozu soll das noch gut sein? Zumindest hatte ich
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