Die Liebe des letzten Tycoon
darüber zu schlafen. Und es ihr morgen zu sagen. Noch immer sah sie ihn an, ihr Blick ging von seiner Stirn zu seinem Kinn und wieder zurück und noch einmal hin und her mit dieser eigenartigen wiegenden Kopfbewegung.
…Das ist deine Chance, Stahr. Greif zu – jetzt. Das ist die Frau für dich. Sie kann dich retten, sie wird ziehen und zerren, bis sie dich ins Leben zurückgeholt hat. Du wirst [191] dich um sie kümmern müssen, und daraus wird dir Kraft erwachsen. Aber nimm sie jetzt, sag es ihr und bring sie fort. Noch wussten sie es beide nicht, aber an einem fernen Ort und über Nacht hatte der Amerikaner seine Pläne geändert. In diesem Augenblick braust sein Zug durch Albuquerque, der Fahrplan stimmt, der Zugführer ist pünktlich. Morgen früh wird er hier sein.
…Stahrs Fahrer bog auf die Straße ab, die zu Kathleens Haus hochführte. Noch in der Dunkelheit wirkte es freundlich. Alles, was Stahr mit ihr zusammen gesehen und erlebt hatte, hatte für ihn einen ganz eigenen Reiz – die Limousine, das Haus, das sich halb fertig am Strand erhob, ja sogar die Strecken, die sie in der weitläufigen Stadt gemeinsam zurückgelegt hatten. Von dem Hang, den sie jetzt hochfuhren, ging etwas wie Wärme aus, ein getragener Ton, der in seiner Seele ein großes Glücksgefühl weckte.
Als er sich verabschiedete, spürte er wieder ganz deutlich, dass er unmöglich von ihr lassen konnte, nicht einmal für wenige Stunden. Zwischen ihnen lagen nur zehn Jahre, aber der Sturm, der ihn erfasst hatte, glich eher der Liebe eines alternden Mannes zu einem jungen Mädchen, war ein heftiges, verzweifeltes Ringen um Zeit, eine Uhr, die im Takt mit seinem Herzen schlug, die ihn wider alle Logik seines Lebens drängte, jetzt an ihr vorbei ins Haus zu gehen und zu sagen: »Das ist für immer.«
Kathleen zögerte, auch sie unentschlossen – rosasilberner Rauhreif, der darauf wartet, mit dem Frühling zu vergehen. Als Europäerin empfand sie Demut angesichts der Macht, eine unerschütterliche Selbstachtung aber erlaubte ihr nur, bis zu einem bestimmten Punkt zu gehen. Sie [192] machte sich keine Illusionen über die Erwägungen, von denen Fürsten sich umstimmen ließen.
»Morgen fahren wir in die Berge«, sagte Stahr. Tausende von Menschen zählten auf sein ausgewogenes Urteil – eine Eigenschaft, von der man sich zwanzig Jahre hat bestimmen lassen, kann ganz plötzlich ihre Schlagkraft verlieren.
Am nächsten Tag, dem Samstag, hatte er sehr viel zu tun. Als er um zwei vom Essen kam, erwartete ihn ein ganzer Stoß von Telegrammen. Eins ihrer Schiffe war in der Arktis verschollen, ein Star in Ungnade gefallen, ein Drehbuchschreiber hatte die Filmgesellschaft auf eine Million Dollar verklagt, in Übersee waren Juden elendiglich umgekommen. Das letzte Telegramm starrte ihn an:
HABE HEUTE MITTAG GEHEIRATET LEB WOHL und ein Sticker auf dem Formular warb: Schicken Sie Ihre Antwort per Western Union Telegram.
[193] 14
Von all dem hatte ich nichts mitbekommen. Ich fuhr zum Lake Louise und ließ mich auch nach meiner Rückkehr nicht im Studio sehen. Mitte August wäre ich wohl in Richtung Osten entschwunden, hätte mich nicht Stahr eines Tages zu Hause angerufen.
»Ich wollte dich bitten, etwas für mich zu organisieren, Cecelia. Ich möchte einen Kommunisten kennenlernen.«
»Welchen denn?«, fragte ich einigermaßen verblüfft.
»Egal.«
»Laufen bei euch nicht genug von der Sorte herum?«
»Ich meine einen Funktionär. Aus New York.«
Mein letzter Sommer war sehr politisch gewesen, da hätte ich wahrscheinlich ein Treffen mit Harry Bridges zustande bringen können, aber dann war mein Freund – inzwischen war ich schon wieder am College – bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und ich hatte keinen Zugang mehr zu diesen Dingen. Angeblich gab es hier irgendwo einen Mann von den »New Masses«.
»Sicherst du ihm Immunität zu?«, frotzelte ich.
»Aber ja«, gab Stahr todernst zurück. »Ich tu ihm nichts. Sieh zu, dass du jemanden bekommst, der reden kann. Er soll eins seiner Bücher mitbringen.« Das klang, als wollte er ein Mitglied des » I AM «-Kults kennenlernen.
[194] »Blond oder braun?«
»Bei einem Mann ist das wohl egal«, sagte er eilig.
Mit Stahrs Anruf hob sich meine Stimmung. Seit ich so unvermutet bei Vater hereingeplatzt war, kam es mir vor, als ob ich ständig in einer trüben Brühe watete. Dank Stahr änderte sich das, änderte sich meine Blickrichtung, änderte sich das ganze Klima. Er war wie eine
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