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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Stirn. »Mach den Mund ganz auf, damit ich hineinschauen kann. Ja, so ist es richtig.« Vitus nahm einen kleinen Spatel, drückte die Zunge hin und her und besah sich jeden einzelnen Zahn, so gut es ging. »Ich sehe keinerlei Anzeichen für den Zahnwurm«, sagte er schließlich und richtete sich auf. »Wo genau sitzt denn der Schmerz?«
    »Warte, ich zeige es dir.« Isabella öffnete ihre Lippen abermals halb und zog ihn mit einer schnellen Bewegung zu sich herab. Sie küsste ihn leidenschaftlich.
    Er riss sich los, doch wenn nicht alles täuschte, ließ er sich damit ein, zwei Augenblicke mehr Zeit, als notwendig gewesen wäre. »Versuche nicht noch einmal, mich zu täuschen. Du missbrauchst meine Gastfreundschaft und hintergehst zugleich deine neue Freundin Nina!«
    »Entschuldige, Vitus.« Isabella tat zerknirscht. »Ich bin nur immer so allein, da ist es über mich gekommen, tut mir leid.«
    »Vergessen wir’s«, sagte er versöhnlich und wollte seine Instrumententasche nehmen, um zu gehen.
    »Nein, bleib.« Sie griff ihn beim Arm. »Ich habe niemals behauptet, vom Zahnwurm gequält zu werden, es geht vielmehr um meinen abgebrochenen Schneidezahn. Die Lücke sieht so grässlich aus, ganz wie bei einer alten Frau.«
    »Ach, darum geht es dir?«
    »Ja, Vitus.« Sie lächelte breit, damit er sehen konnte, was sie meinte.
    »Es geht also nicht um Gesundheit, sondern um Schönheit?«
    »Hängt beides nicht zusammen?« Sie lächelte noch breiter, so dass auch die Lücke, die der fehlende untere Schneidezahn hinterlassen hatte, sichtbar wurde.
    Vitus ließ sich Zeit mit der Antwort. »Vielleicht hast du recht«, sagte er dann. »Aber künstliche Zähne herzustellen, ist schwer, und noch schwerer ist, sie richtig zu befestigen. Wenn ich dir helfen soll, musst du von vornherein wissen, dass du mit beiden Zähnen nie wieder kauen können wirst. Sie werden einfach nur da sein und, so Gott will, einigermaßen natürlich aussehen.«
    »Oh, Vitus, du bist so gelehrt.«
    »Übertreibe nicht. Ich will, dass du dir genau darüber im Klaren bist, was dich erwartet, wenn ich die Behandlung vornehme. Das Problem ist, dass dem Menschen keine dritten Zähne nachwachsen, sie müssen also extra in ihrer Form hergestellt und verankert werden. An Materialien kommt dafür mancherlei in Frage, etwa der Zahn des Walrosses oder der des Elefanten. Man kann auch einen Kalbszahn zurechtfeilen oder ein Stück Holz entsprechend bearbeiten. Dies alles ist bei den alten Meisterärzten nachzulesen und, wie gesagt, nicht das größte Problem. Das größte Problem ist das Fixieren, das in der Regel durch einen Gold- oder Silberdraht erfolgt. Mit ihm wird der neue Zahn an seinen Nachbarn links und rechts befestigt, und zwar in Form einer geschlungenen 8  – gelingt das dauerhaft, ist auch der Schönheitseffekt dauerhaft.«
    »Ich mache alles, was du für richtig hältst.« Sie betrachtete ihn und spürte eine Welle der Sehnsucht, die sie fortzuspülen drohte. Wenn er so ernst daherredete, war er einfach unwiderstehlich. Doch sie verbot sich, ihn nochmals zu küssen, denn sie wollte ihn nicht noch einmal reizen.
    »Ich schlage vor, für den Ersatz deiner Zähne solche vom Kalb zu nehmen.«
    »Ja, Vitus.«
    »Wenn du so weit mit allem einverstanden bist, kommt jetzt das Schwerste für dich: Dein abgebrochener großer Schneidezahn kann nicht durch ein angesetztes Stück geflickt werden, es hielte nicht, selbst wenn du niemals damit kauen würdest. Es gibt keinen Klebstoff, der stark genug wäre, um auf so einer kleinen Bruchfläche zu wirken. Das heißt …«
    »Das heißt, du musst ihn ziehen, damit ein neuer, ganzer Zahn seinen Platz einnehmen kann?«
    »Genau das heißt es. Du solltest es dir noch einmal überlegen, denn der jetzige Stumpf scheint für die Nahrungszerkleinerung voll tauglich zu sein. Du tauschst also einen funktionsfähigen, gesunden Zahnrest gegen eine reine Nachbildung ein.«
    »Das ist mir egal. Ich will wieder richtig lachen können!«
    »Nun gut.« Vitus atmete durch. »Bringen wir den ersten Schritt hinter uns. Ziehen wir den abgebrochenen Beißer, alles andere findet sich hoffentlich.«
    »Wird es sehr schmerzhaft?«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Küss mich noch einmal, bevor es losgeht, Vitus.«
    »Nein. Ich werde dich nie wieder küssen. Ich bin ein glücklich verheirateter Ehemann, und du bist hier Gast. Missbrauche dieses Gastrecht nicht und halte jetzt still. Öffne den Mund weit und nimm die Zunge zurück.«
    »Ja,

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