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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Feuerkreis? Was ist das nun wieder?«
    »Den hat der Örl angefackelt gegen den Schwarzen Tod, da ham wir alle drin gehaust, siebzich Tage lang, un dann sin wir raus un war’n gerettet. Nur Antonella nich.« Der Zwerg gab ein fiependes, nach Trauer klingendes Geräusch von sich. »Ich hab sie mächtich gelenzt, aber sie hat mich nich gelenzt.«
    »Dafür hab ich dich lieb, Altlatz!« Nella gab dem Zwerg einen schmatzenden Kuss direkt auf sein Mondgesicht.
    »Du bist mein Sonnenschein, aber mit Antonella war’s schattnich. Aber’s war wohl nich zu ändern, hab dich dann mit Milch vom Bartmann hochgepäppelt.«
    »Milch vom Bartmann? Altlatz, du sollst doch nicht immer so blöd sprechen.«
    »’s is Ziegenmilch, mein Spätzchen. Hab dich damit gefüttert un durch Oberitalien karriert, durchs Meer gelotst, durch Nordspanien karriert, wieder durchs Meer gelotst un mit Dusel hier ins Kastell gebracht.«
    »Erzähl mir mehr davon, Altlatz!«
    »’n andermal, Spätzchen, ’s is ’ne lange Geschicht. Sag, hat der Örl auch die Schickse geküsst?«
    »Nee, sie hat angefangen. Er wollte nicht. Oder nicht richtig. Ich glaub, sie ist eine ganz Durchtriebene.«
    »Das kannste holmen.«
    »Ich hab auch gesehen, wie sie Hartford ihre Brüste gezeigt hat. Sie hat so getan, als wär’s Zufall.«
    »Bei der is nix Zufall. Wer weiß, was das nu wieder soll.«
    »Vielleicht krieg ich es raus.«
    »Aber pass auf, mein Spätzchen, wenn’s zu heikelig wird, sach Bescheid.«
    »Keine Sorge, mein lieber, kleiner Altlatz.« Nella küsste den Zwerg abermals schmatzend. »Gute Nacht, ich muss zu Tante Nina nach oben.«
    »Glatte Schwärze, mein Spätzchen.«
     
     
     
    Eine Woche später war es so weit: Vitus hatte zwei Zähne vom Kalb zurechtgeschliffen und nach mehrmaliger Anprobe für passend gefunden. Beide Kauwerkzeuge passten genau in das Zahnfach und wiesen im oberen Bereich eine rundum verlaufende waagerechte Riefe auf, die den Golddraht vor dem Abrutschen bewahren sollte.
    Isabella war an diesem Morgen, es war ein Sonntag, abermals nicht zum Gottesdienst in die kleine Kapelle gekommen, mit der Begründung, sie sei anderen Glaubens. In Wahrheit hatte sie lieber ausschlafen wollen. Doch nun, wo es darum ging, ihr Gebiss in alter Vollständigkeit zurückzuerhalten, war sie hellwach. »Was wirst du tun, Vitus?«, fragte sie, bevor sie den Mund weit aufsperrte.
    »Ich werde zunächst eine kleine Riefe in die Nachbarzähne feilen, damit der Goldfaden nicht nur an den vorpräparierten Zähnen Halt findet, sondern auch links und rechts daneben. Ich beginne jetzt. Sollte es weh tun, gib mir ein Zeichen, manche Menschen sind an den Zahnhälsen sehr empfindlich.«
    Isabella nickte, denn wegen ihres geöffneten Mundes konnte sie nicht sprechen.
    Vitus machte sich an die Arbeit, und wie sich zeigte, war Isabella keineswegs an den Zahnhälsen empfindlich. Im Gegenteil, sie ließ die Prozedur, ohne mit der Wimper zu zucken, über sich ergehen.
    Als die Riefen gefeilt waren, begann Vitus mit dem großen Schneidezahn, den er sorgfältig der Größe und Farbe nach einem toten Kalb entnommen hatte, schlang den Goldfaden einmal um ihn herum und setzte ihn ein. Während er ihn mit der linken Hand an seinem Platz hielt, fädelte er mit der rechten den Faden neben dem ersten Seitenzahn ein, holte ihn durch, führte ihn über den Schneidezahn zum anderen Seitenzahn hinüber und wiederholte den Vorgang. Eine weitere Lage Draht nach beiden Seiten gab dem neuen Zahn endgültige Festigkeit. Die Schlingentechnik in Form der liegenden 8 hatte sich nach beiden Seiten hin bewährt.
    Mit Hilfe der Pinzette, derer er sich schon zuvor bedient hatte, machte er einen winzigen Knoten, den er in einem Zahnzwischenraum unsichtbar plazierte.
    »Sieht es gut aus?«, fragte Isabella.
    »Ja und nein«, antwortete Vitus. »Im grellen Sonnenlicht wird jedermann den Zahn als künstlich erkennen, zumal der Goldfaden dann blinken dürfte; im matten Kerzenlicht dagegen wird niemand einen Unterschied feststellen können. Im Übrigen liegt es an dir, wie weit du die Oberlippe beim Lachen hochziehst. Tust du es nicht zu stark, wird man den Goldfaden in keinem Fall sehen.«
    »Der Zahn fühlt sich kalt an.«
    »Das ist kein Wunder. Er ist ein Fremdkörper. Es wird einige Stunden, vielleicht sogar Tage dauern, bis er die Wärme der anderen angenommen hat. Dann wird er ein Teil von dir sein. Aber freue dich nicht zu früh, die Schlingenbefestigung hält nicht bis in alle

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