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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Vitus.«
    Er trat seitlich an sie heran, um sich nicht selbst im Licht zu stehen, und probierte zunächst einige Zangen aus. Als er die richtige gefunden hatte, setzte er sie an und begann, den starken Zahnstumpf nach vorn und hinten zu biegen, damit er sich mitsamt seiner Wurzel löse. Es war ein mühsames Unterfangen, denn Isabella verfügte über ein prachtvolles Gebiss, und ihre Zähne saßen fest wie eingemauert.
    Er verstärkte seine Bemühungen und beobachtete, wie ihr Tränen aus den Augen rannen, aber sie gab nicht das kleinste Klageräusch von sich.
    »Du bist sehr tapfer.«
    Sie sagte nichts und bedeutete ihm, weiterzumachen.
    Er zog und drückte jetzt nicht mehr nur aus dem Handgelenk heraus, sondern setzte den ganzen Unteram ein. Seltsame Gedanken schossen ihm dabei durch den Kopf. Er wollte ihr keinen Schmerz zufügen, und dennoch empfand er ein gewisses Vergnügen, sie so hilflos ausgeliefert zu sehen. Sie hing an seiner Zange wie ein Fisch an der Angel. Doch sie zappelte nicht. Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn und half so, das Lockern zu erleichtern.
    Endlich, halb ziehend, halb brechend, gelang es ihm, den starken Stumpf herauszuholen. Er hielt ihn mit der Zange hoch und begutachtete ihn. Die Wurzel war gänzlich erhalten, was bedeutete, dass sich nun ein blutiges Loch in Isabellas Kiefer befand – so wie beabsichtigt.
    Sie schloss den Mund und fuhr sich über die Augen. Eine Weile sagte sie nichts. »Es war nicht so schlimm«, sagte sie dann. »Weil du es gemacht hast.«
    »Es war schlimm genug; ich hätte nicht an deiner Stelle sein mögen.«
    »Aber nun ist es vorbei. Wann bekomme ich die neuen Zähne?«
    Er lächelte. Es war das erste Mal, dass er es während der Behandlung tat. »Spül erst einmal den Mund aus, hier ist ein Becher Wasser. So ist es gut. In die Schale dort kannst du hineinspucken. Nun zu deiner Frage, wann du die neuen Zähne bekommst: Wir müssen ein paar Tage warten, bis sich die Wunde geschlossen hat. Sie wird es von selbst tun, eine Versorgung ist nicht notwendig. Ich werde die Zeit nutzen und mich um geeignete Kalbszähne kümmern. Außerdem werde ich versuchen, einen besonders harten Golddraht aufzutreiben, denn Gold ist besser als Silber. Silber ist zu weich, und es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass es in ungewünschter Weise mit dem Speichel reagiert.«
    »Danke, Vitus.«
    »Schon gut. Was ich tue, tue ich als Arzt. Vergiss das nicht. Hoppla, war da etwas?« Vitus blickte zur Tür, wo er eine Bewegung wahrgenommen zu haben meinte.
    »Hallo, Onkel Vitus.« Nella stand im Rahmen und strich sich eine Haarsträhne aus dem geröteten Gesicht. »Ich … ich wollt nur sehen, ob ich meine große Sticknadel hier verloren hab.«
    Isabella kniff die Augen zusammen. »Wieso glaubst du, deine Sticknadel ausgerechnet in meinem Zimmer verloren zu haben?«
    »Ich … Es war gestern Mittag, Miss Isabella, Ihr wart zu Tisch, und Molly hat aufgeräumt, und ich hab ihr Gesellschaft geleistet. Sie hat Staub gewischt, und ich hab meinen Stickrahmen dabeigehabt und gestickt, das machen wir öfter, weil wir gute Freundinnen sind – so wie Ihr und Tante Nina.«
    »Nun gut. Geh jetzt. Du kannst später nach der Sticknadel suchen.«
    »Ja, Miss Isabella. Adieu, Onkel Vitus, bis nachher.«
    »Bis nachher«, sagte Vitus und packte seine Sachen zusammen.
    Nella sprang erleichtert davon.
     
     
     
    »Sie hat ihn geküsst, Altlatz«, sagte Nella am selben Abend zum Zwerg. Er saß wieder auf ihren Knien, und sie wiegte ihn wie eine Puppe. »Ich hab es genau gesehen. Sie hat es getan, bevor Onkel Vitus ihr einen Zahn zog. Das Zahnziehen sah furchtbar aus. Die Schickse war sehr tapfer, aber sie war’s nur, weil sie was von ihm will.«
    »Wui, mein Spätzchen, schaukel nich so, aber hast recht, Frauen sin tapfer, wennse was wollen, viel tapfrer als Kaffer. Müssen sehn, dass hier nich alles böse endet. Sin die Einzigen, die ihre Späher tarren. ’s sin wir dem Örl schuldich. Wenn er nich gewesen wär, gäb’s dich heut nich. Er hat dem Schwarzen Tod ’ne Nase gedreht, hat uns alle gerettet, dich, mich, Fabio, das war’n Überlandfahrer, den Magister un Antonella, deine Mutter.«
    »Erzähl mir von ihr.«
    »Da gibt’s nich viel zu spinnen, mein Spätzchen, weiß ja kaum was von ihr. Sie war jung, ’ne Bürstenbinderin, un sie war mächtich geschwollen.«
    »Geschwollen?«
    »Schwanger, mein Spätzchen. Bei deiner Geburt isse gestorben, das war schon im Feuerkreis.«
    »Im

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