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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Kajüte war für acht Uhr angesetzt worden, doch bevor es begann, hatte Vitus in seiner Kammer Gelegenheit, Isabella bei ihren Vorbereitungen zu beobachten. Er hatte den Eindruck, als mache sie sich an diesem Abend besonders sorgfältig zurecht, denn sie bürstete endlos lange ihre schwarze Perücke aus, schminkte sich das Gesicht blass und den Mund kirschrot, zupfte sich die Brauen und die Lider und feilte sich die Nägel – alles getreu dem Schönheitsideal, das der bekannten Dreierregel folgte: drei Mal weiß galt für Haut, Zähne und Hände; drei Mal schwarz für Augen, Augenbrauen und Augenlider; drei Mal lang für Körper, Haare und Fingernägel; drei Mal schmal für Mund, Taille und Fesseln; drei Mal dick für Arme, Po und Schenkel.
    Diesem Anspruch wurde sie nahezu gerecht, wenn man davon absah, dass sie nicht dick war und keine schwarzen, sondern graue Augen hatte. Genau wie Vitus. »Brauchst du noch lange?«, fragte er. »Ich möchte nicht gern unpünktlich sein.«
    »Ich muss nur noch ein Kleid auswählen, Liebster. Leider habe ich viel zu wenig Garderobe mit, Madame Pointille hatte ja kaum Zeit, mir etwas anzufertigen.«
    »Madame Pointille? Wer soll das sein?«
    »Die Schneiderin von Nina.«
    »Nenne meine Frau nicht Nina!«
    »Sie ist nicht mehr deine Frau. Ich bin deine Frau. Ich werde das Seidenkleid nehmen. Mit seinem großen Ausschnitt ist es zwar etwas gewagt, aber die Farbe Lila wirkt andererseits sehr züchtig, findest du nicht auch?«
    Er sagte daraufhin nichts. Er hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, welche Gefühle durch Farben ausgelöst wurden.
    »Schließe mir mal die Häkchen auf dem Rücken.«
    Er gehorchte. Er arbeitete sich von unten nach oben vor und bemerkte, dass der Stoff sich mit jedem weiteren Häkchen stärker spannte. Der Grund dafür waren ihre prächtigen Brüste, die sich gegen die Einengung wehrten. »Das Kleid sitzt viel zu knapp. Was sollen die Herren am Kapitänstisch denken!«
    Isabella drehte sich Vitus zu. Ihre Augen blickten spöttisch. »Na, was wohl? Das, was alle Männer denken, wenn sie einen tiefen Ausschnitt sehen.«
    »Ich will nicht, dass du so herumläufst!«
    »Bist du etwa eifersüchtig?«
    »Lächerlich!«
    »Dann ist es ja gut.« Isabella zog ein grobmaschiges, aus Goldfäden geknüpftes Netz über ihr Haar und befestigte es. Vitus sah, dass jeder Knoten mit einer kostbaren Perle geschmückt war, und er sah auch, dass es Ninas Netz war. »Der Haarschmuck gehört meiner Frau!«
    »Richtig, Liebster, ich bin deine Frau. Vergiss das nicht. Und nun komm, ich habe einen Bärenhunger.«
    Sie hakte sich bei ihm unter und drängte ihn zur Tür.
     
     
     
    Die Speisen an diesem Abend waren bei weitem nicht so vielfältig wie jene, die Kapitän Steel noch vor wenigen Tagen hatte auftischen lassen, denn die
Camborne
befand sich auf See und lag nicht mehr an der Pier von Plymouth, wo jederzeit frische Nahrungsmittel eingekauft werden konnten. Das Angebot bestand in erster Linie aus Pökelfleisch und Klippfisch sowie einer Suppe aus unterschiedlichen Hülsenfrüchten, die mit Zwieback angereichert war.
    Kapitän Steel räusperte sich und blickte in die Runde. Die Zahl seiner Tischgäste hatte sich um Don Pedro erweitert, den er in aller Form begrüßte und vorstellte. »Leider müssen wir alle heute Abend mit schnöder Seemannskost vorliebnehmen, Don Pedro«, dröhnte er, »aber wir sind im Krieg, und im Krieg sind die Zeiten für Feinschmecker nicht rosig.«
    Der Spanier, der sich in der Zwischenzeit gut erholt zu haben schien und in seinen getrockneten Kleidern einen mehr als passablen Eindruck machte, lächelte. »Der Wert einer Tafel misst sich nicht unbedingt an der dargebotenen Speise, sondern eher an Geist und Schönheit der Teilnehmer, Capitán.«
    »Danke, Don Pedro!« Steel schien das Kompliment, das zweifellos nicht ihm gegolten hatte, auf sich zu münzen. »Das habt Ihr trefflich gesagt! Da Ihr mit uns schlecht auf das Wohl unserer Jungfräulichen Majestät Elizabeth trinken könnt und wir mit Euch schlecht auf das Wohl Eures Königs Philipp, denke ich, trinken wir, äh …«
    Er hatte den Faden verloren und suchte nach einer Gemeinsamkeit, auf die man das Glas erheben konnte.
    Isabella half ihm mit einem reizenden Lächeln aus: »Trinken wir auf die gerechte Sache.«
    »Bei Gott, das ist eine gute Idee! Jeder möge auf seine eigene gerechte Sache trinken, ha, ha! Dass ich darauf nicht selbst gekommen bin! Erhebt mit uns Euer Glas, Don

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