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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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abgegrenzt worden war.
    Er wandte sich dem zweiten Geretteten zu. Der Mann hieß Diego. Das Frage-und-Antwort-Spiel begann von neuem. Im Großen und Ganzen entsprach die Verfassung Diegos der von Manoel. Darüber hinaus wiesen beide die üblichen Blessuren und Merkmale auf, die für Seeleute aller Nationen bezeichnend waren: Sie hatten schwarzblaue Tätowierungen an den Armen und Händen, denn sie waren, wie sie erzählten, auf den Gewürzinseln gewesen und hatten dort einen Schamanen der Dayak aufgesucht. Sie hatten verstümmelte Finger, an denen das eine oder andere Glied fehlte, und sie hatten am ganzen Leib Narben, die von Stich-, Riss- oder Platzwunden herrührten. Diego hatte zudem einen verkürzten rechten Arm, der von einem schief verheilten Bruch stammte, und ein langes, schlecht verheiltes Wundmal auf der linken Wange, das ihm die Augenlider zusammenzog.
    Vitus schloss seine Untersuchung ab und sagte: »Hört mal, ihr beiden, ihr wisst, dass ihr euch auf einem englischen Schiff befindet. So gesehen, seid ihr Gefangene und müsstet eigentlich hinter Schloss und Riegel sitzen. Wenn ihr das nicht wollt, gibt es nur eine Möglichkeit: Leistet Captain Steel den Treueid und dient fortan als englische Matrosen auf diesem Schiff. Wollt ihr das?«
    »Aye, Sir«, sagten beide nach kurzem Zögern.
    »Schön, dann wird mein Assistent Mister Stonewell euch zum Captain bringen. Mit einer freundlichen Empfehlung von mir.«
    »Aye, Sir.«
    Vitus nickte zufrieden und begab sich an Deck.
     
     
     
    Am frühen Nachmittag stand er neben Steel an der Querreling und beobachtete, wie die Pinasse
Sun
längsseits ging. »Das bedeutet Neuigkeiten«, dröhnte Steel, der die Höflichkeit gehabt hatte, Vitus nicht auf Isabellas Entgleisung vom vergangenen Abend anzusprechen, sich aber ausdrücklich für die beiden neuen Matrosen bedankt hatte. »Hoffentlich etwas Erfreuliches.«
    Ein Matrose sprang auf die
Camborne
über und händigte ein Schreiben aus, das Steel nach wenigen Augenblicken überbracht wurde. »Danke.« Der Kapitän löste die Kordel, entrollte das Papier und las.
    »Darf man erfahren, was da steht?«, fragte Vitus.
    »Selbstverständlich, Cirurgicus. Doch habt noch einen Augenblick Geduld, ich will McQuarrie und Abbot hinzuziehen, damit ich nicht alles doppelt und dreifach erzählen muss.«
    Als beide Offiziere erschienen waren, kratzte Steel sich die rotgeäderte Wange, hielt einen Rülpser zurück, machte ein wichtiges Gesicht und verkündete: »Lordadmiral Howard lässt mich wissen, dass der Befehlshaber des andalusischen Geschwaders, Don Pedro de Valdés, sein Flaggschiff, die
Nuestra Señora del Rosario,
kampflos an Sir Francis Drake übergeben hat. Damit ist eine der stärksten gegnerischen Karacken aus dem Gefecht. Sir Francis hat Don Pedro und seine Offiziere zu sich an Bord der
Revenge
genommen und unserer
Roebuck
befohlen, die
Rosario
nach Dartmouth zu eskortieren. Wahrhaftig eine erfreuliche Nachricht!«
    McQuarrie wunderte sich. »Aber Sir, nach allem, was wir wissen, hat die
Rosario
bei den ersten Scharmützeln nur ihren Fockmast verloren! Da gibt man doch nicht einfach auf?«
    »Ihr sagt es, McQuarrie. Aber mehr steht hier nicht. Lest selbst.« McQuarrie studierte die Zeilen und reichte das Papier dann an Abbot weiter, der es ebenfalls überflog und an Vitus übergab.
    Steel schloss den Kreislauf, indem er die Nachricht von Vitus entgegennahm, sie einrollte und wieder verschnürte. »Da sieht man es, Gentlemen: Es gibt solche und solche Don Pedros! Der Befehlshaber der
Rosario
hat zweifellos nicht so viel Schneid wie unser Galeerenadmiral aus Cádiz. Doch sei es, wie es sei. Der Verlust der
Rosario
bedeutet sechsundvierzig Kanonen weniger auf des Gegners Seite. Die Armada ist um ein weiteres Schiff geschwächt. Der Sieg wird unser sein! Ich höre das Lösegeld, das mir unser Don Pedro einbringen wird, schon klingen, ha, ha! Heute ist ein guter Tag.«
    »Aye, Sir«, bekräftigten McQuarrie und Abbot.
    »Und was macht man an einem guten Tag?«, fragte Steel, um gleich darauf selbst die Antwort zu geben: »Man gönnt sich ein Gläschen. Die Dons scheinen ja weiter den Schwanz einzuziehen, so dass wir ihnen nur hinterherfahren müssen. Von mir aus bis zum Firth of Forth oder noch weiter, dann wird es nämlich mit der Invasion nichts mehr! Bis später, Gentlemen.«
    Steel verschwand, um seine Absicht in die Tat umzusetzen, denn er war ein Trinker, der es schätzte, seinen Alkoholspiegel niemals zu sehr

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